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Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shani Boianjiu
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zwischen den Abfertigungsschaltern der Fluggesellschaften und den Duty-Free-Läden an einem Schalter zu sitzen und verdächtig aussehende Leute rauszufischen. Stunden und Tage und Monate werde ich zusehen, wie Leute aufbrechen. Und alle werden verdächtig aussehen. Es ist immer verdächtig, wenn jemand aufbricht. Ich werde nie aufbrechen. Nach meiner Schicht fahre ich nach Tel Aviv rein und schlafe allein. Am nächsten Tag komme ich zurück. So kann ich dann wieder das Gegenteil von denen machen, die aufbrechen. Alle, die mich im Zug sehen und meine Uniform nicht bemerken, Zugezogene oder Besucher, denken vielleicht, dass ich zum Flughafen fahre, weil ich wegfliegen will. Ich muss gar nicht spielen, dass ich wegfliegen will. Das glauben sie von ganz allein.

    Wir liefen durch den Olivenhain zu Millers Haus. Es war dunkel und das orangene Feuer auf den Feldern in der Ferne das einzige Licht. Ich trug den Benzinkanister. Die Olivenbäume rings um uns lebten. Wir waren betrunken, fühlten uns aber betrunkener, als wir waren. Nicht gleich beschwingt, aber ein paar Augenblicke lang hatten wir das Gefühl, dass wir nicht mehr nur warteten. Die silbernen Blätter waren überall; die verschlungenen Äste wuselten um unsere Körper herum. Obwohl die Wurzeln die Stämme fest im Boden hielten, fühlte es sich an, als kämen die Bäume näher, lebendig und begierig. Die Einschläge der Granaten hörten auf.
    Lea rannte los und stolperte, breitete die Arme aus, um nicht hinzufallen, und blieb neben einem Baum stehen. Nicht bei dem toten. Bei einem lebendigen kleinen.
    »Denk mal über diesen Baum nach«, sagte sie.
    Also tat ich das. Ich stand Lea gegenüber, sah sie an und dachte über den Olivenbaum nach.
    Lea erklärte alles Mögliche, sie sprach unheimlich schnell. Sie sagte: »Der Baum ist lebendig, er lebt und lebt und lebt. Tausende von Jahren. Fliegen greifen die Früchte an und fressen sich durch die Zweige und der Baum glaubt, er muss sterben, er stirbt aber nicht. Er lebt weiter, und dann verursachen Bakterien extreme Wucherungen, die langsam von innen nach außen wachsen, langsam und bedrohlich, ohne dass es jemand merkt, und dann glaubt er wieder, er muss sterben, stirbt aber nicht; er lebt immer weiter. Er bleibt; er bleibt für immer da.«
    Dann sagte Lea, »es tut weh«, lächelte dabei aber. Ich konnte in der Dunkelheit ihre weit auseinanderstehenden Zähne sehen. »Es tut weh, mitten zwischen diesen Bäumen zu stehen. Spürst du nicht, dass sie vor zu viel Leben regelrecht vibrieren?«
    Ich streckte die Arme in die Luft und versuchte, ihre Worte zu spüren.

    Einmal spielten wir Reporter. Vor zehn Jahren, als Lea noch nicht zu cool war, um mit Avishag und mir rumzuhängen, spielten wir Reporter, nachdem wir im Meer gebadet hatten, und wir fragten, was am Morgen passierte. Das fragten wir den ganzen Tag. Wir fragten nicht nur eine Person. Wir fragten viele Leute. Ich saugte gerade das Salz aus der Spitze meines geflochtenen Zopfs, als Lea die erste Person fragte.
    »Sie da im Badeanzug, entschuldigen Sie«, rief Lea. An einem der Strände von Naharija rannten wir einer Frau hinterher. Avishag blieb auf dem Handtuch sitzen. Es war ihr immer peinlich, wenn wir unsere Fantasiespiele in der Öffentlichkeit spielten.
    »Sie da mit dem Badeanzug! Entschuldigen Sie!«, rief Lea.
    Die Frau drehte sich um.
    Wir waren kleine Mädchen und sie hatte Mitleid mit uns.
    »Tut mir leid. Entschuldigen Sie die Störung«, sagte Lea. Vorher tat es ihr immer leid, hinterher nie. »Sie müssen entschuldigen. Wir sind Reporter und suchen die Antwort auf die Frage: Was passiert am Morgen?«
    Damals konnte Lea ihre Hand aus meiner ziehen, schnell und weit weg, und ich merkte es immer erst viel später.
    »Was meint ihr damit, ›was passiert am Morgen?‹ Ist morgen Feiertag?«, fragte die Frau. Sie wusste nicht, was Lea meinte.
    Lea wusste es auch nicht. Aber sie fragte weiter, diesmal einen Mann mit Zigarette. Er sagte, am Morgen würden wir aufwachen. Uns die Zähne putzen. Zur Arbeit gehen oder in die Schule.
    Ich hatte keine Ahnung, was Lea meinte. Aber ich fragte eine Frau, die ein Stück Wassermelone aß, und sie sagte, das müsse eine Verwechslung sein, denn sie hätte keine Ahnung, wovon ich redete, und sie hätte keine Ahnung, was ich glaubte, was sie morgen früh tun sollte. Es wäre keine Verwechslung, sagte ich, und sie schimpfte, weil ich sie als Frau bezeichnete hatte, sie aber genau genommen eine junge Frau war.
    Was

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