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Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shani Boianjiu
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Bakterien konnten ihn krank machen, Wucherungen verursachen, ihn aber nicht töten. Es gab einen Käfer, der die Rinde fraß, und eine Raupenart, die die Blätter abfraß. Olivenfliegen konnten die Früchte verderben. Frost und Hasen konnten einen Olivenbaum töten, aber wir waren hier in Nordisrael, hier gab es weder Frost noch Hasen. Und Hasen konnten ihn auch nur töten, wenn einer von ihnen in den Baum kletterte, stecken blieb, starb und der Kadaver den Baum dann von innen vergiftete. Lea zufolge war das einmal in Spanien vorgekommen.
    »Und dann wäre da noch Benzin«, sagte Lea. »Wenn man genug Benzin auf die Wurzeln eines Olivenbaums schüttet, stirbt er.«
    Ich schaute auf die Überbleibsel des Olivenbaums vor uns. Ein dunkles Ende. Der klare Anfang von etwas, das keine Mitte hatte. Der Stamm war an einer so unerwarteten Stelle abgebrochen, dass ich wettete, wenn jemand in seinem Leben noch nie einen Olivenbaum oder irgendeinen anderen Baum gesehen hatte, dann würde er trotzdem wissen, dass da etwas fehlte.
    »Die Bar-Mizwa!«, sagte ich. »Da muss der Mord passiert sein.«
    Lea nickte.
    Mir fiel ein, wie Leas Mutter uns erzählt hatte, dass die schrecklichen Millers von nebenan während unserer Armeezeit noch schlimmer geworden waren. Sie würden jetzt nicht mehr nur ihr Laub in den Olivenhain schmeißen. Sie hätten auch die Bar-Mizwa-Party für ihren Sohn im Olivenhain geschmissen, obwohl das Land gar nicht ihnen gehörte und sie das gar nicht durften. Sie hatten alle ihre Verwandten aus England eingeladen und machten eigenes Pita auf einem echten Steinofen, und sie staunten, wie idyllisch und ganzheitlich sie an der Grenze des Heiligen Landes lebten. Sie redeten sehr laut. »Weißt du«, sagte Leas Mutter, »diese Leute sind ursprünglich nicht von hier, darum verstehen sie nichts.«
    »Die Bar-Mizwa!«, sagte ich wieder, und als ich Lea ansah, lächelte sie. Ein gemeines, ehrliches Lächeln.
    »Miller hat den Ofen mit Benzin angemacht«, sagte Lea. »Meine Mutter hat ihn dabei gesehen. Der Idiot kann noch nicht mal ein Feuer machen.«
    »Aber warum sollte er Benzin auf den Olivenbaum gießen?«, fragte ich.
    »Weil er noch welches übrig hatte. Weil der Baum nah am Ofen stand. Wer weiß schon, was im Kopf eines Mörders vor sich geht?«
    Wir schwiegen.
    »Ein Mörder, wohlgemerkt, nicht nur ein Totschläger«, sagte Lea.
    Und dann zeigte sie mir die Plakate, die sie gemacht hatte. Vierzig Stück in A4-Format. Sie hatte sie mit Buntstiften beschrieben. Denen von ihrem kleinen Bruder. Ganz unten stand: »Mörder eines Olivenbaums gesucht: tot oder lebendig.«
    Sie hatte sogar Millers Gesicht gemalt. Seine größer werdende Stirnglatze hatte sie mit schwarzen und roten Strichen herausgearbeitet. Mit jedem Poster wurde sie dunkler.
    »Okay«, sagte ich. »Okay.« Ich verstand es. Ich konnte ihre Logik immer verstehen.
    Wir verließen den Garten. Jawohl.
    Die Poster klebten wir an die Olivenbäume und an die Bänke auf der Straße, an Millers Auto und sogar an seine umherstreunende Katze. Lea zog am Klebeband und ich riss mit den Zähnen einzelne Stücke ab. Dann hauten wir beide fest drauf, damit das Poster auch wirklich hielt.
    Als wir wieder rauchend in Leas Garten saßen, war Millers Frau schon wieder dabei herumzuschreien. Aber wir schrien nicht, dass sie leise sein sollte. Wir zählten bis drei und schrien: »Mörder! Mörder!« Wir bekamen keine Antwort.
    Trotzdem: Wenn Miller aufwachte, würde er wissen, dass wir wussten, was er war.

    Einmal hab ich gespielt, ich könnte einen Mann umbringen lassen. Einmal hab ich gesagt, Wehrdienstverweigerer würden die Todesstrafe verdienen. Meine Mutter sagt immer, sie wettet, dass die Kinder der Millers nach England gehen, bevor sie zum Militär eingezogen werden, und ich seh’ das genauso.
    Als ich bei der Armee war, spielte ich, ich könnte einen Mann umbringen. Das war ein Jahr nach dem Krieg, kurz vor Ende meiner Dienstzeit. Es war ein Spiel. Ich erzählte meinem Vorgesetzten Shai, ein Mann hätte mir zugezwinkert. Er war bloß ein arabischer Bauarbeiter, und ich war einfach müde, weit weg von zu Hause und gelangweilt. Er hatte alle Genehmigungen. Man hatte ihn aus seinem Dorf auf den Stützpunkt geholt, weil er einen Teil der neuen Schießanlage bauen sollte. »Sie müssen sich irren; ich hab nichts gemacht«, sagte er mit seinem Akzent. »Ich habe alle nötigen Genehmigungen«, sagte er. »Ich soll auf Ihrem Stützpunkt etwas bauen.«
    »Keine Angst«,

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