Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shani Boianjiu
Vom Netzwerk:
passiert am Morgen? Wir hörten nicht auf, diese Frage zu stellen. Wir fragten mehr als dreißig Leute. Manchen erzählten wir, es wäre für die Schülerzeitung. Anderen erzählten wir, die Umfrage wäre für eine Kindersendung. Wir blieben dabei ganz ernst. Ich kann mich gut an den Tag erinnern; er war genauso gut wie Spaghetti nach dem Schwimmen.
    Spätabends trampten wir ins Dorf zurück. Stundenlang warteten wir vor uns hingrinsend an der Ecke. Damals kannten wir noch keine Angst. Wir redeten nicht darüber, warum wir so vielen Fremden diese Frage gestellt hatten, es hatte keine bestimmte Antwort gegeben, die wir hätten hören wollen. Diesen Tag hatte nicht Gott sich für uns ausgedacht. Er war so willkürlich entstanden, dass er nur Leas Werk gewesen sein konnte. Als wir auf der Rückbank des Autos saßen, das uns mitnahm, schlief Avishag sofort ein, aber Lea und ich waren so aufgedreht, dass wir nicht aufhören konnten rumzualbern. Lea bohrte mir sehr lange ihre Zähne in die Hand, damit sie nicht aus Versehen losbrüllte. So lebendig war sie an diesem Tag für mich. Sie hinterließ Abdrücke.

    Miller hatte die Haustür nicht abgeschlossen. Wir schlichen hinein. Ich bemühte mich, ganz leise zu sein, aber Lea marschierte so selbstverständlich durch die Zimmer, als würde sie dort wohnen. Wir gingen vom Flur aus ins Wohnzimmer. Auf dem Teppich lagen ein paar Spielsachen herum, teuer und glänzend.
    Miller saß im Dunkeln am Küchentisch. Er warf eine Banane von einer Hand in die andere, fing sie und warf sie wieder hoch. Obwohl wir so nah bei ihm standen, dass er uns bemerkt haben musste, schaute er nicht auf. Der Tisch war gedeckt, Teller mit Erbsen, Schnitzel und Salat, neben den Tellern lagen Gabeln, aber alles war nur halb aufgegessen, einfach stehen gelassen worden.
    »Miller«, sagte Lea. »Wir sind hier, um dich mit Benzin zu übergießen. So wie du den Olivenbaum.« Ihre Stimme war klar, sie stand fest auf dem Boden. Sie sah mich nicht an. Sie sah direkt auf Millers zu Boden gerichteten Kopf. Auf die kahle Stelle.
    Miller warf weiter die Banane hin und her. Er ließ sie nicht aus den Augen. Er sah nicht hoch.
    Als er plötzlich etwas sagte, machte seine Stimme mir Angst. Sie war kratzig, als käme sie von sehr weit her, von einem Ort, an dem ich noch nie gewesen war.
    »Ach, die Schicksen-Mädchen«, sagte er. »Ihr seid noch verrückter, als ich dachte. Seid ihr nach all diesen Jahren endlich gekommen, um mich anzuzünden?«, fragte er.
    »Du hast den Olivenbaum umgebracht«, sagte Lea. »Er war Tausende von Jahren alt, und du hast nach eurer Bar-Mizwa-Party Benzin draufgeschüttet.«
    »Was redest du da? Warum sollte ich Benzin draufschütten? Das hat an dem Tag gerade so gereicht, um das Feuer in Gang zu halten«, sagte Miller.
    »Es ist das Einzige, womit man einen Olivenbaum umbringen kann. Das Einzige.«
    »Tja, du Affendame, das spielt jetzt auch keine Rolle mehr. Zünd’ mich ruhig an. Sie ist weg. Und hat die Kinder mitgenommen.« Er warf die Banane jetzt schneller. »Eigentlich ist das perfekt. Genau das, was einem passiert, wenn man in diesem Land bleibt«, sagte er. »Mir macht ihr keine Angst.«
    »Hat sie dich wegen der Plakate verlassen?«, fragte ich, weil ich die Frage nicht unterdrücken konnte. Lea sah mich verwundert an. Sie trat näher an mich heran. Mit ihm über seine Frau zu reden, gehörte nicht zu ihrem Plan, aber ich war neugierig, neugierig wie ein Kind.
    Miller lachte. Das Lachen klang eher wie ein würgendes Baby. »Die Plakate? Die Granaten sind Schuld. Der Krieg. Es ging immer um den Krieg. Sie hat das nicht mehr ertragen, wollte zurück nach England«, sagte er. »›Wir können nicht zulassen, dass den Kindern was passiert‹«, ahmte er dann auf Englisch die Stimme seiner Frau nach. »›Das war ganz allein deine verrückte Idee, hierher zu ziehen.‹«
    Er warf die Banane jetzt nicht länger hin und her, sondern hielt sie einfach fest. Dann tat er etwas ziemlich Unglaubliches, aber es ist wirklich wahr: Er legte die Hände vors Gesicht, mit der Banane, und fing an zu schluchzen. Er war schlecht zu verstehen, aber ich glaube, er sagte: »Ich hätte mitgehen sollen. Was soll ich ohne Frau in diesem Land?«
    Ich war zwar noch betrunken, aber doch nicht so sehr, dass mir das nicht peinlich gewesen wäre. Ich sah zu Boden und merkte da erst, dass ich den Benzinkanister nicht mehr in der Hand hielt. Dass Lea ihn jetzt hatte.
    Einen Augenblick lang wirkte sie etwas

Weitere Kostenlose Bücher