Das Vortex Fiasko
Flug von San Diego nach New York vor sechs Tagen erhalten haben, den Sie auch genommen haben«, sagte er.
Gladys Bakers Gesicht erbleichte. Sie steckte die Finger unter den Tisch, weil Bane nicht bemerken sollte, wie sehr sie zitterten.
»Gott sei Dank«, seufzte sie, »bin nicht nur ich der Meinung, daß mit diesem Flug etwas nicht in Ordnung war. Aber ich habe nichts gesagt. Seit mein Mann starb, hatte ich einige … Probleme. Die Umstellung und so weiter, Sie verstehen. Ich habe mich einer befristeten Therapie unterzogen. Ich habe Verwandte, die nichts lieber sehen würden, als daß ich endgültig ins Irrenhaus käme … von der Seite meines Mannes natürlich. Verstehen Sie, er hat mir alles hinterlassen. So konnte ich mit niemandem über den Flug sprechen; ich konnte es einfach nicht.«
»Jetzt können Sie es.«
»Und alles, was ich sage, behandeln Sie vertraulich?«
»So gut ich kann.«
Gladys Baker seufzte erneut. Hinter ihr fing der Teekessel zu summen an. »Es gibt eigentlich nicht viel zu erzählen. Ich fliege nicht gern, und ohne Dramamine wäre ich ein Nervenbündel. Ich dachte, ich hätte noch eine, aber erst, als wir in der Luft waren, stellte ich fest, daß die Packung leer war. Wirklich dumm von mir. Ich dachte, ich müßte die ganze Zeit mit vor Angst hämmerndem Herzen fliegen, doch es ging mir eigentlich ganz gut, bis ein paar Minuten vor der Landung, als …« Gladys Baker schlug die zitternden Hände vors Gesicht.
»Bitte fahren Sie fort, Mrs. Baker. Ich bin hier, um Ihnen zuzuhören.«
»Nun, kurz vor der Landung hatte ich das Gefühl, alles doppelt zu sehen, zweifach. Dann wurde mir auf einmal komisch, alles drehte sich, und ich dachte: ›Na ja, nachdem sechs Stunden lang alles glatt gegangen ist, mußt du dich jetzt doch noch übergeben.‹ Also atmete ich tief ein, aber es half nichts. Ich sah immer noch doppelt, und mir wurde immer übler. Alles im Flugzeug spielte verrückt, drehte sich und trieb dahin, sogar die Menschen. Ich konnte keine Stewardeß finden, und so wandte ich mich an ein nettes junges Paar neben mir – wissen Sie, ich saß auf dem Platz neben dem Gang.« Mrs. Baker atmete tief ein. »Sie waren nicht mehr da.«
»Sie meinen damit, sie haben die Plätze gewechselt?«
»Ich meine damit, daß sie verschwunden sind.«
Ein Schaudern kroch Banes Rückgrat empor.
»Ein paar Sekunden, bevor es anfing«, fuhr Mrs. Baker fort, »hatte ich sie noch gesehen. Sie sind nicht an mir vorbeigegangen. Sie waren einfach nicht mehr da.«
»Sind Sie vielleicht ohnmächtig geworden?«
Mrs. Baker schüttelte den Kopf. »Mir war zu schlecht. Ich konnte nicht einmal die Augen schließen, ohne das Gefühl zu haben, ich würde aus einer Achterbahn fallen. Außerdem waren sie ein paar Sekunden später wieder da.«
»Das junge Paar?«
Die alte Frau nickte, den Kessel ignorierend, der mittlerweile mit einem schrillen Pfeifen verkündete, daß das Wasser kochte. »Mr. Bane, kommt Ihnen das nicht alles ein wenig überkandidelt vor?«
»Überhaupt nicht«, sagte er, ohne zu zögern, froh, daß er der Frau ein wenig Trost bieten konnte.
»Da ist noch mehr.«
»Ich würde es gern hören.«
»Sie kamen nicht sofort zurück – das Paar, meine ich. Sie kamen Stück für Stück zurück, als würde man eine Kamera richtig einstellen und das Bild langsam Gestalt annehmen. Zuerst war da nur der Umriß. Dann füllte er sich aus, aber man konnte noch immer nicht alles erkennen. Und dann waren sie wieder da. Etwa zu dieser Zeit bemerkte ich, daß meine Übelkeit nachgelassen hatte, und so fragte ich sie, ob sie in Ordnung wären. Sie musterten mich seltsam und sagten: ›Natürlich‹, als wäre alles in Ordnung, als wäre nichts geschehen. Aber es ist passiert, Mr. Bane. Ich weiß es ganz genau.«
Der Kessel kreischte nun. Gladys Baker erhob sich, drückte sich hoch, indem sie ihre Handflächen auf die glatte Tischkante legte. Sie nahm den Kessel vom Herd und goß unbeholfen zwei Tassen kochenden Wassers ein, rührte dabei den Kaffee nicht einmal um. Die Tassen zitterten in ihren Händen und wären zu Boden gefallen, hätte Bane ihr die Last nicht auf halbem Weg zum Tisch abgenommen.
»Normalerweise bin ich nicht so nervös«, entschuldigte sie sich. »Ich war nicht mehr so nervös, seit mein Mann vor drei Jahren gestorben ist. Aber jetzt habe ich Angst, Mr. Bane, und es hat alles mit diesem Flug angefangen.« Sie setzte sich wieder und versuchte, die Kaffeetasse an ihre Lippen zu heben.
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