Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte
mein Vater auch schon an die Gebrauchsanweisung, in der stand, dass man sich in diesem Fall auf das Schwert stellen und mit den Händen an der Reling das eigene Gewicht wie bei einer Wippe einsetzen sollte, um so das Boot wieder aufzurichten.
Der Umstand, dass einem ein solches Malheur ausgerechnet an einer Stelle passierte, wo die Wassertiefe nicht ausreichte, um das Schwert wieder einzusetzen, war den Konstrukteuren wohl nicht in den Sinn gekommen. Wer kentert schon zwei Meter vom Ufer entfernt?
So musste mein Vater das liegende Boot mitsamt gewassertem Segel also erst einmal in tiefere Gefilde des Riegsees schieben, was ihm wohl nur deshalb gelang, weil er die Möglichkeit des Scheiterns nicht in Betracht zog.
Dort setzte er das Schwert wieder in die mittige Lücke des liegenden Boots ein und machte sich daran, die Anweisungen auszuführen. Er ergriff die Bordwand, stellte sich auf das rutschige Holz und begann zu schaukeln …
Wenn ich an diesen Anblick zurückdenke, beginnt in meinem Kopf sofort die Titelmusik von »Benny Hill«. Ich hätte damals ja so gerne mitgelacht mit den vielen, vielen Menschen am Strand, auch auf ihn gezeigt und dabei »Seht ihn an!« gebrüllt, aber leider war das nicht möglich, denn ich war in direkter Linie verwandt mit diesem tragikomischen Wasserclown. Stattdessen versenkte ich mich in mein Lustiges Taschenbuch und las die eine Sprechblase immer und immer wieder, ohne deren Sinn wirklich zu durchdringen.
Schließlich schaffte mein Vater es tatsächlich vermittels dieser beschämenden Methode, das Boot wieder aufzustellen. Schaukelsystembedingt hatte das zur Folge, dass er in dem Maße erst einmal unterging, wie der Mast nun in die Höhe ragte.
Als mein Vater wieder auftauchte, war er vermutlich ebenso erstaunt wie wir alle, dass das Boot tatsächlich wieder mit dem Mast nach oben auf dem Wasser stand. Sofort schwang er sich mit der Grazie eines Vanillepuddings über den Rand des Bootes und landete in einer Art Badewanne. Als er auch hier wieder auftauchte, brandete tosender Applaus auf von den Rängen der leicht ansteigenden Liegewiese. Mein Vater wollte Stil beweisen, stellte sich aufrecht mitten in die Jolle, verbeugte sich tief und deutete dann mit beiden Händen präsentierend auf das Boot, als wäre die Flautilus sein phantastischer Sketchpartner, ohne den das alles nicht möglich gewesen wäre. Der dankte es ihm mit einem hämischen Schlag des Segelbaumes in die Kniekehle, was in diesem Moment fast so wirkte, als wäre der Weißclown eifersüchtig auf den August.
Bis heute sehe ich das Bild aus dem Lustigen Taschenbuch vor mir, in dem Kater Karlo Micky Maus am Kragen hochhebt. Es hat sich für immer in meine geistige Netzhaut eingebrannt, so sehr hatte ich es angestarrt.
Mein Vater wasserte die Flautilus auch erst wieder im nächsten Sommerurlaub in Heißundscheißeland beim Wildcamping, weil er dort sicher sein konnte, dass niemand aus der Gegend um Murnau anwesend war.
Angriff der drei Kammern
D ie nun folgende Geschichte kenne ich sogar nur aus Erzählungen meiner Eltern, denn ich war damals nicht viel älter als drei. Während meine Mutter sich immer noch darüber echauffieren kann, wie dramatisch das hätte enden können, muss mein Vater sich immer die Lachtränen aus dem Gesicht wischen. Ich lache auch, aber es hat eine leicht hysterische Komponente.
Es ging los mit der Rückkehr von einem unserer Schlauchboot-Ausflüge. Wir waren mal wieder bei grenztödlichem Wellengang zurückgepanikt, und die ein oder andere Welle hatte uns ganz gut erwischt, also musste mein Vater das Boot natürlich zuallererst einmal ausleeren, bevor er es zum Trocknen auf den Strand zerren konnte. Das dickwandige Boot maß dreieinhalb Meter in der Länge und etwa eins zwanzig in der Breite, somit war ein Umsturzversuch mit gehörigem Kraftaufwand verbunden. Diesen vollbrachte mein Vater meist zusammen mit einem weithin hörbaren gutturalen Urschrei, damit auch wirklich jeder zusah.
Wenn er dem Meer dann zurückgegeben hatte, was des Meeres war, krabbelte er unter das umgedrehte Boot und hob es kraft seines Rückens am Bug in die Höhe. So zerrte er es dann über den steinigen Strand bis zu einer passenden Stelle. Erstens sollte ja die Flut das Boot nicht erreichen, und zweitens musste die Sonne möglichst prall und schattenlos darauf scheinen, um es bis zum Anbruch der Nacht getrocknet zu haben. An dieser Stelle angekommen, tauschte er sich selbst mit einem der Ruder aus, damit
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