Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Titel: Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommy Krappweis
Vom Netzwerk:
das Boot schräg stand und wirklich alles Wasser abfließen konnte.
    Meine Mutter hatte mich inzwischen zentimeterdick mit einer Après-Lotion eingeschmiert und dann in den Schatten unseres Bambuszauns auf eine der Liegen gebettet. Bei unserer Rückreise von der nachbarlichen Bucht hatte ich nämlich bereits erste Anzeichen eines Sonnenstichs gezeigt und war am Ende reichlich desolat im Boot herumgekugelt.
    Nachdem sie mich verarztet hatte, winkte sie meinem schwitzenden Vater, der schon wusste, was nun kam: Da meine Mutter das Salzwasser nicht vertrug und davon in der Sonne immer einen fiesen Ausschlag bekam, musste sie sich nach Meerkontakt nämlich immer mit Trinkwasser abwaschen. Dies geschah dergestalt, dass mein Vater den mächtigen Wasserkanister über ihren Kopf heben und dann zusehen musste, wie das mühsam erschleppte Nass literweise zwischen den Steinen versickerte.
    Doch bevor er wieder einmal über die Hälfte des Wassers über dem Kopf meiner Mutter ausgekippt hatte, hatte er plötzlich eine ziemlich gute Idee. Und wie mein Vater so ist, wenn er eine Idee hat, begann er sofort mit der Umsetzung: Er schnappte sich die kleinste unserer drei Luftpumpen – einen armseligen Blasebalg, der schon mit dem Aufpumpen von Schwimmflügelchen an seine Grenzen stieß –, um ihn zusammen mit ein paar Metern Schlauch, ein paar Gasklemmen und zehn Rollen Paketklebeband in eine Art Pumpdusche zu verwandeln. Vielleicht erhoffte er sich von dieser Konstruktion, dass meine Mutter deutlich weniger Wasser verpritscheln würde, wenn sie es selbst mühsam aus dem Kanister in einen undichten Schlauch fußeln musste.
    Nun denn, auf jeden Fall dauerte das Ganze dann doch etwas länger als geplant, während meine Mutter ungeduldig zusah und dabei bereits erste allergische Hautrötungen entwickelte.
    In dieser allgemeinen Anspannung schien wohl niemand auf mich geachtet zu haben, denn inzwischen war die Sonne etwas höher gestiegen, und mein ehemaliger Schattenplatz auf der Liege war nun eine Sonnenbank mit Turbo-Gesichtsbräuner und kaputter Lüftung.
    Wie meine Eltern aber erleichtert bemerkten, musste ich das wohl trotz meines geleeartigen Zustands selbst erkannt haben, denn ich lag nicht mehr dort, wo meine Mutter mich gebettet hatte. Aber leider lag ich auch nicht im Vorzelt oder im VW-Bus oder sonst irgendwo anders. Ich war verschwunden.
    Sofort ließ mein Vater seine Bastelarbeit fallen, und meine Mutter vergaß in ihrer Aufregung ihren juckenden Ausschlag. Geschlagene zweieinhalb Stunden durchkämmten meine Eltern immer und immer wieder meinen Namen rufend die gesamte umliegende Gegend, krochen durch das dornige Unterholz hinter unserem Standplatz und kletterten sogar auf die Felsen am Rand der inzwischen flutumtosten Bucht, um weiter sehen zu können. Es half nichts. Ich blieb wie vom Erdboden verschluckt.

    Als die Sonne unterging, waren beide begreiflicherweise völlig mit den Nerven am Ende und befürchteten bereits das Schlimmste. Und da war es mit Ertrinken noch lange nicht getan! An einem »urigen« Ort wie diesem präsentierte sich einem dreijährigen Kind eine ganze Reihe theoretischer Todesarten!
    Mein Vater hatte seine Beruhigungsversuche längst aufgegeben und war selbst schrecklich besorgt. Meine Mutter war in Tränen aufgelöst. Erschöpft sank sie auf dem steinigen Strand nieder und schlug die Hände vors verpustelte Gesicht. War der ungewöhnlich lautstarke Protest ihres sonst so stillen und in sich gekehrten Sohnes in den Tagen vor der Abreise vielleicht so etwas wie eine Vorahnung gewesen? Hatte er geahnt, dass dies bereits die letzte Fahrt vor der ganz großen Reise sein würde?
    Da kehrte auch mein Vater völlig zerkratzt und zerschunden von seinem Ausflug unter die Dornenbüsche zurück, ebenfalls ohne seinen Sohn. Er sank neben seine Ehefrau, und kurz wurde die einsame und ach so urige Bucht heimgesucht von der verzweifelten Stille zweier junger Eltern …

    … und einem schwachen Jammern, das irgendwo vom Strand herkam.

    Wie Sie anhand der Existenz dieses Büchleins selbst herleiten können, war ich noch am Leben. Es ging mir allerdings nicht sonderlich gut. Auf der Suche nach einem schattigen Plätzchen hatte ich mich nur wenige Meter weiter den Strand hinuntergeschleppt und war schnell fündig geworden. Leider wurde mir dieser Ort recht unerwartet zum Verhängnis. Denn kaum war ich in den kühlen Schatten unter das aufgebockte Schlauchboot gekrochen, war das Ruder auch schon aus dem Bug

Weitere Kostenlose Bücher