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Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Titel: Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommy Krappweis
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Schnur zurückkehrte, nickte er meiner Mutter kurz bestätigend zu. Dann versprach er mir, in Zukunft selbst Wasser holen zu gehen.
    »Du glaubst doch nicht, dass ich mich mit Wasser waschen will, in dem eine Schlange gebadet hat!«, rief da meine Mutter, und mein Vater wusste, was das bedeutete. Es bedeutete, dass er ab sofort mehrmals am Tag einen deutlich weiteren Weg mit dem großen Wasserkanister würde zurücklegen müssen. Obwohl ich die Schlange nicht im Brunnen plaziert hatte, fühlte ich mich irgendwie schuldig.

    Ganz und gar nicht schuldig fühlte ich mich allerdings beim nächsten Malheur. Im Nachhinein kann man auch eigentlich keinen Schuldigen benennen, wenn man mal von meinem Vater absieht, der als Drahtzieher der gesamten Campingchose ja generell schuld an allem war.
    Wie oben erwähnt, schien dieser Standplatz ja wirklich die Ausnahme von der grausigen Regel zu sein. Gut, es gab also eine Schlange in der Zisterne, und die war nah genug, um mich vor allem nachts kaum schlafen zu lassen, weil ich alle halbe Stunde die Reißverschlüsse an meinem Zelt auf Geschlossenheit hin überprüfte. Aber ansonsten war doch alles so weit, so muuuhhh.

    Muuuhhh?

    Verwundert öffnete ich die Reißverschlüsse meiner Dackelgarage, schob den Kopf hinaus ins morgendliche Graublau und blickte auf den Arsch einer liegenden Kuh.
    Dieses knochige und doch recht voluminöse Tier blockierte den Ausgang meines Zelts und machte insgesamt eher nicht den Eindruck, sich in den nächsten Tagen irgendwo anders hin bewegen zu wollen. Ich rief erst zaghaft, dann immer lauter um Hilfe.
    Nach ein paar Minuten kamen meine Eltern aus dem Vorzelt gestolpert und starrten ebenso erstaunt wie ich auf die Kuhherde in unserem Vorgarten. Klapptisch und -stühle waren umgeworfen, die Luftmatratze von Hufen zerschlissen, und eine Kuh musste sich wohl auf Mamis Sonnenliege breitgemacht haben, denn das Ding war so platt wie die zahlreichen Kuhfladen.
    Es stellte sich heraus, dass diese Kühe in großer wilder Schar hier in der Bucht lebten. Den Grund, warum sie sich ausgerechnet hier angesiedelt hatten, lieferte uns im Übrigen ein seltsam stechend-modriger Geruch, der nicht nach Kuh oder deren Hinterlassenschaften roch. Nein, das war einfach nur das Odeur einer nahen Müllhalde, das wir aufgrund des starken Westwinds bei unserer Anreise nicht wahrgenommen hatten. Die Es-ist-überall-heiß-und-scheiße-ianer auf Korsika hatten zumindest damals die ebenso pragmatische wie naturfeindliche Sitte, ihren Müll einfach in die jeweils nächste Bucht zu kippen, und wie es schien, waren wir am anderen Ende einer dieser Müllbuchten gelandet. Hier war bis jetzt kein Müll zu sehen, aber es war nur eine Frage von wenigen Jahren, bis auch dieser Standplatz unter den Resten des Wohlstands versunken sein würde. Für die Kühe war das augenscheinlich völlig in Ordnung, im Gegenteil sogar. Sie fraßen einfach, was ihnen vor die weichen Schnauzen kam, und durch die Müllhalde gab es genug geschmacklich herausfordernden Nachschub in den stimulierendsten Farben und Formen.
    Im Moment jedoch fanden die Viecher unsere Campingutensilien interessanter und – im Falle unseres Windschutzes – auch schmackhafter. Anstatt erst einmal die Kuh vor meinem Zelt zu vertreiben, stürzte sich mein Vater sofort auf die drei Tiere, die an den Seilen unseres Windschutzes knabberten. Doch alles Schreien, Schubsen und Klapsen half nichts. Diese Kühe waren sicher Schlimmeres gewohnt und schlugen nicht einmal mit ihren Schwänzen nach Papi, um ihn wie eine Fliege zu vertreiben.
    Der griff zu drastischeren Mitteln, und zwar zu einem dünnen, langen Ast. Den ließ er peitschend auf den Hintern der Tiere tanzen, und tatsächlich schienen sie das zumindest so weit wahrzunehmen, dass sie von dem Windschutz abließen und sich mit müdem Blick meinem Vater zuwandten. Hatte ich schon erwähnt, dass er nackt war? Nein? Okay, also mein Vater war nackt. Ebenso wie meine Mutter.
    Und nun stellen Sie sich bitte vor, wie ein nackter Mann mit Bart und einem albernen Ast in der Hand von drei Kühen über einen Strand gejagt wird und sein Heil im morgendlichen Meer suchen muss. Lustig? Für Sie vielleicht.

    Kaum hatten die Kühe von ihm abgelassen, entstieg mein Vater dem Meer, und schon von weitem war ihm anzusehen, dass er den Viechern diese Schmach heimzahlen würde. Wer meinen Vater vor den Augen seiner Familie nackt vor sich hertrieb, musste mit massiven Vergeltungsaktionen rechnen. Aber

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