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Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Titel: Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommy Krappweis
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Hätte ich mich von Ort zu Ort brüllen können, wäre ich vielleicht sogar direkt zu Hause gelandet. Ich weiß nur noch, dass ich irgendwo meine Badehose abgeschüttelt hatte, weil ich sonst nicht hätte rennen können. Und ich weiß noch, dass die Ameisen im Meer sofort von meinen Beinen abließen. Zur Sicherheit tauchte ich ein paar Mal komplett unter und schlug dabei um mich wie verrückt. Auch auf den Kopf und überallhin, wo sich vielleicht noch eins der Tierchen hätte verstecken können. Erst ein paar Tauchgänge später wagte ich mich wieder aus dem Wasser, mein schlabbernasses T-Shirt hierbei über den Po heruntergezogen.
    Die Sandalen hatte ich im Wasser gelassen, und beide Füße waren bereits zu fleischig-roten Klumpen angeschwollen, als ich endlich wieder zurück zu unserem Standplatz kam. Mein Vater war gerade Wasser holen gegangen, und meine Mutter erschrak fürchterlich, als sie mich sah. Sofort holte sie Jodtinktur aus dem Verbandskasten und tupfte die Bampfkuchen ein, zu denen meine Füße geworden waren.
    Als mein Vater zurückkam, war auch er sehr besorgt, und ihm war anzusehen, dass ich ihm leidtat. Meine Frage, ob wir nun endlich nach Hause fahren würden, wurde trotzdem abschlägig beantwortet. Mist. Stattdessen kühlte man meine Füße mit kalten Umschlägen und tat auch ansonsten alles, um mich wieder so weit hochzupäppeln, dass ich die nächsten zwei Wochen irgendwie überstehen würde.

    An den Rest dieses Urlaubs kann ich mich nicht erinnern. Als ich meine Eltern fragte, meinten sie, es sei einer der schönsten Urlaube unseres gemeinsamen Familienlebens gewesen. Ich hingegen kann mich nur an die dramatischen Momente erinnern. Langsam frage ich mich wirklich, ob mit mir etwas nicht stimmt.

Liegt es an mir?

    Diese Frage ist doch in jedem Fall berechtigt! Mein Vater tat schließlich immer so, als sei das alles das absolut Normalste von der Welt und nichts anderes als ein riesengroßer Spaß, egal, wie dramatisch die Situation gerade war. Meine Mutter glaubte ihm entweder oder war ebenfalls bestrebt, vor mir nicht allzu viel Dramatik hochzukochen, um mich nicht (noch mehr) zu beunruhigen. Also hielt ich mich selbst irgendwann für einen Stubenhocker mit einem massiven Knacks, der ganz offensichtlich nicht in der Lage war, das Wahre, Gute und Schöne der Natur zu erkennen und es vor allem zu genießen.
    Gut, heute weiß ich, dass genau das zutrifft, aber der Unterschied ist, dass ich heute dazu stehe. Damals jedoch war ich umringt von Menschen, die versuchten, mir klarzumachen, dass jeder Junge, der nicht Tag und Nacht mit einem verdammten Ball im Freien verbringt, eine Meise haben muss.
    Ich will es mal so ausdrücken: Heute weiß ich, dass nicht ich der Verrückte in der Familie war. Oder zumindest nicht der einzige. Mein Vater hat mindestens genauso eine große Meise wie ich, nur schlägt sie sich eben in den zu mir komplementären Bereichen des möglichen Meisen-Spektrums nieder.
    Woher ich das weiß? Nun, ich musste ja nur lesen, was mein Vater so alles zu Papier brachte, nachdem ich ihn um Beiträge zu diesem Buch gebeten hatte. Schon nachdem ich die ersten Zeilen studiert hatte, wurde mir vieles klar. Gleichzeitig machte es mich aber auch noch ein Stück ratloser.
    Okay, was hatte ich erwartet? Irgendeine Art grausames Schlüsselerlebnis in einem Luxushotel, wonach er nur noch das Wildcampen an entlegenen Orten ertrug? Ein Kindheitstrauma mit Schuldkomplex, das ihn immer wieder an düstere Steilküsten zwang, um sich und alle anderen dort wieder und wieder mit lebensbedrohlichen Komplikationen zu kasteien, die er auf perfide Art und Weise selbst herbeigeführt hatte?

    Nichts dergleichen.

    Das Einzige, was ich fand, war ein Mensch, dessen größte Freude wohl immer schon darin bestanden hatte, mit einer Mischung aus fröhlicher Ignoranz und todesverachtender Unbeschwertheit jedes Risiko bereitwillig herzend mit beiden Armen zu umschließen, bis es aufhörte zu zappeln. Besonders deutlich wird das meiner Meinung nach in dem Bericht über den allerersten Campingurlaub meines Vaters im Alter von vierzehn Jahren. Aber urteilen Sie bitte selbst, vielleicht sehen Sie das ja alles ganz anders …

Mein erstes Mal
    von Werner Krappweis
M ein erster Urlaub war ein Campingurlaub, und das ist nun etwa fünfundfünfzig Jahre her. Ich war damals vierzehn Jahre alt und fuhr mit meinem ein Jahr älteren Cousin Manfred, kurz Fredi, mit dem Fahrrad zum Zelten an den Seehamer See. Der See liegt

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