Das Wahre Kreuz
ist ein bemerkenswerter Mann, klein an Gestalt, aber groß an Verstand und Tatkraft. Gebe Allâh, daß in ihm auch die Liebe zu den vielen tausend Menschen, für die er verantwortlich ist, groß sein möge!« Maruf ibn Saads Worte rissen mich aus meinen Gedanken, und ich starrte ihn verblüfft an.
»Sie haben ausgesprochen, was auch mich just in diesem Moment beschäftigte«, gestand ich. »Fast so, als hätten Sie meine Gedanken gelesen.«
»Das habe ich auch, jedenfalls in gewisser Hinsicht.
Sie haben mehrmals zu der Tür gesehen, durch die Ihr Onkel mit dem Sultan des Feuers gegangen ist. Ihr Blick war nachdenklich, aber auch voller Bewunderung. In Anbetracht der vorausgegangenen Begegnung war es nicht sehr schwer, ihre Gedanken zu lesen, wie Sie es ausdrückten.«
Ich setzte ein entschuldigendes Lächeln auf. »Zuge-geben, meine Gedanken drehen sich derzeit mehr um den General als um die Kreuzzüge von Männern, die schon seit Jahrhunderten zu Staub zerfallen sind.«
»Staub ist zuweilen gefährlicher als Schwerter und Kanonen. Er dringt durch jede Ritze wie der Wüstensand im Sturm, setzt sich überall fest und läßt sich nur schwer wieder entfernen. Mit den Ereignissen der Vergangenheit verhält es sich ähnlich. Auf den ersten Blick sind sie vergessen, dabei haften sie unsichtbar an allem, auch an uns, und sind so Teil unseres Lebens.«
»Was wollen Sie damit sagen, Maruf ibn Saad?« Er machte eine wegwerfende Handbewegung und betrachtete den Bücherstapel vor uns. »Nichts weiter. Es war nur so ein Gedanke, der mir angesichts der vielen alten Schriften in den Sinn kam. Vielleicht sollten wir uns eine Pause gönnen, um unseren Geist zu erfrischen.«
Freudig stimmte ich zu, und wir gingen hinaus in den Innenhof, der von Palmen und Mangobäumen beschattet wurde. Eine Schwalbe mit roter Brust floh vor uns in den blauen Himmel, als wir zu dem kleinen Teich gingen und uns dort auf einer Steinbank niederließen. Ein Katzenwels trübte das Wasser, indem er so heftig im Schlamm wühlte, als wollte er sich schnellstmöglich zum Nil durchgraben.
»Dem Fisch scheint es hier nicht zu gefallen«, scherz-te ich. »Entweder will er sich im Schlamm verstecken, oder er versucht, sein wäßriges Gefängnis zu verlassen.«
»Dann geht es ihm nicht anders als vielen Menschen in dieser Stadt«, erwiderte Maruf ibn Saad unerwartet ernst. »Auch wenn die Franzosen sich alles in allem bemühen, uns gerecht zu behandeln, gibt es doch viele, die sich gegen die fremde Herrschaft sträuben und sie lieber heute als morgen abschütteln würden.«
»Den Eindruck habe ich nicht. Natürlich gibt es immer einzelne Unzufriedene, aber im allgemeinen scheinen die Ägypter sich überraschend schnell an uns ge-wöhnt zu haben.«
»Das Schnelle ist nicht immer auch das Tiefgreifen-de, im Gegenteil. Die Sache mit den französischen Soldaten vor meinem Haus und die ablehnende Haltung meiner Tochter sollten Ihnen warnende Beispiele sein, Monsieur Topart. Und heute vormittag, nachdem Sie und Ihr Onkel mich verlassen hatten, gab es auf Ihrem Anwesen Tumult. Ich habe sogar einen Schuß gehört.
Ist da etwas Ernstes vorgefallen?«
Er brachte die Frage beiläufig an, aber ich schluckte eine unbedachte Antwort lieber hinunter. Ich wollte nichts verraten, was Ourida betraf.
Der Verdacht, daß Maruf selbst hinter dem Ganzen steckte, keimte erneut in mir auf. Wollte er jetzt durch eine unverfänglich erscheinende Plauderei das in Erfahrung bringen, was sein Spion einige Stunden zuvor nicht herausgefunden hatte?
»Wir wissen selbst nicht genau, was geschehen ist«, sagte ich vage und log damit noch nicht einmal. »Ein Soldat hat auf eine Gestalt geschossen, die er im Garten gesehen hat. Vielleicht war es ein Dieb, vielleicht hat der Soldat sich aber auch getäuscht.«
»Wie ich hörte, haben die Soldaten Ihr Haus gründlich durchsucht.«
»Nach dem Vorfall mit dem Attentäter, mit dem ich ein tödliches Duell auszustehen hatte, hielten wir es für besser, Vorsicht walten zu lassen.«
»Gewiß, das war sehr vernünftig.«
Ich hatte den Eindruck, daß er mir nicht glaubte, und war froh, als ich meinen Onkel mit eiligen Schritten auf uns zukommen sah.
Er breitete entschuldigend die Arme aus. »Maruf ibn Saad, es tut mir sehr leid, aber mein Neffe und ich werden von dringenden Geschäften fortgerufen. Lassen Sie sich dadurch aber bitte nicht stören, die Bibliothek steht Ihnen, wie General Bonaparte gesagt hat, zur Verfügung.«
»Dann werde
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