Das Wahre Kreuz
dabeizusein und sie mit dem Zeichenstift zu dokumentieren.«
»Selbstverständlich«, sagte ich, bemüht, meine Abneigung dagegen, Kairo und damit Ourida zu verlassen, zu verbergen.
»Trotzdem möchte ich Sie bitten, in Kairo zu bleiben und sich um Ourida zu kümmern. Sie müssen möglichst viel Zeit mit ihr verbringen und ihr Sprachunterricht erteilen. Auf diese Weise kommen wir vielleicht hinter ihr Geheimnis.«
»Wie Sie befehlen, Bürger General«, entgegnete ich, jetzt in überschwenglicher Stimmung, die ich jedoch ebenfalls vor Bonaparte verheimlichte.
»Ich wußte, daß ich mich auf Sie verlassen kann.
Und wenn Sie etwas über den Tempel oder die Ritter dort in Erfahrung bringen, scheuen Sie sich nicht, sich direkt an mich zu wenden.«
»Natürlich. Aber es wird schwer sein, glaube ich.«
Bonaparte lächelte verschwörerisch. »Ein aufge-weckter junger Mann wie Sie wird schon einen Weg finden. Bringen Sie Ourida unsere Sprache bei, unterhalten Sie sich mit ihr über harmlose Dinge, und dann stellen Sie ihr mittenhinein eine Frage über den Tempel!«
Meine gute Laune verflog schlagartig. Ich fühlte mich miserabel bei dem Gedanken an das, was Bonaparte von mir verlangte. Schlecht und gemein gegen Ourida. In erster Linie würde ich nicht Sprachlehrer sein, sondern Bonapartes Spion!
10. KAPITEL
Hinter dem Schleier
wei Tage nach General Bonapartes Besuch in Z unserem Haus rückte mein Onkel an der Spitze seiner Expeditionskolonne aus Kairo ab. Ich blickte der Staubwolke, die von Dutzenden Soldatenstiefeln aufgewirbelt wurde, mit gemischten Gefühlen nach. Gern wäre ich mit Onkel Jean gegangen, aber ebenso gern blieb ich zurück – bei Ourida. Allerdings, Bonapartes Auftrag erfüllte mich mit wenig Freude. Ich tröstete mich mit der Überlegung, daß ich nichts ausspionieren konnte, solange Ourida nicht sprach. Mit diesen zwies-pältigen Gedanken begann ich meine erste Unterrichts-stunde, die ich draußen im Garten abhielt. Der Vormittag und der späte Nachmittag schienen mir am besten geeignet, da die Mittagshitze der Aufmerksamkeit nicht eben förderlich war.
Anfangs glaubte ich, Ourida würde nichts lernen –
nichts lernen wollen. Zweifellos war sie intelligent, vielleicht zu intelligent, um sich aushorchen zu lassen.
Möglicherweise sprach sie mit niemandem, um sich selbst zu schützen. Trug sie ein Geheimnis mit sich herum, das den Tod bringen konnte, dem sie im Tempel nur um Haaresbreite entronnen war?
Meine düsteren Gedanken verflogen, je länger ich mit ihr zusammen war. Sie lernte, anfangs nur langsam, aber sie lernte! Zunächst einfache Wörter wie Garten, Himmel oder Baum, wie Zimmer, Bett oder Tisch.
Nicht lange, und ich konnte mich mit ihr über die alltäglichen Verrichtungen in unserem Haus verständigen, wozu zweifellos beitrug, daß sie sich inzwischen recht gut eingelebt hatte. Der Unterricht bereitete uns beiden, wie mir schien, zunehmend Freude, und die Tage eilten in einer gelösten, fast heiteren Stimmung dahin.
Ein abruptes Ende fand diese Gelöstheit an jenem Nachmittag, an dem ich Kairos Geschäftsviertel aufsuch-te, um einige Rechnungen zu begleichen und bei den Lieferanten neue Bestellungen aufzugeben. Als ich das Ladenlokal eines Weinhändlers aus der Gascogne verließ, stieß ich mit einer Einheimischen zusammen, die den Schleier trug. Eine Sitte, von der immer mehr Frauen sich verabschiedet hatten, seit wir Franzosen in Kairo lebten. Bei dem Zusammenprall ließ die Frau ihren Obs-tkorb fallen, und die Früchte rollten durch den Dreck.
Sofort ließ ich mich auf die Knie nieder, um ihr beim Aufsammeln zu helfen. Da verrutschte der Schleier, und ich erstarrte in der Bewegung. Das junge Gesicht mit den braunen Augen war mir wohl bekannt, nur der ver-schlossene, beinahe feindselige Blick befremdete mich.
Ich hatte diese Züge viel offener in Erinnerung.
»Aflah!« brachte ich schließlich erstaunt hervor.
Maruf ibn Saads Tochter zog ohne ein Wort den Schleier wieder vor ihr Antlitz und fuhr mit dem Ein-sammeln der Früchte fort. »Warum sprechen Sie nicht mit mir? Und warum tragen Sie den Schleier?«
Ohne mich anzusehen und ohne ihre Arbeit zu un-terbrechen, sagte sie: »Uns Frauen, die wir der Lehre Mohammeds folgen, ist es nicht erlaubt, mit Fremden zu sprechen. Wir tun gut daran, unser Gesicht zu verhüllen, damit Fremde weder begehrliche Blicke auf uns werfen noch das Wort an uns richten.«
Sie sprach eintönig, ganz so, als hätte sie die Sätze auswendig
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