Das Wahre Kreuz
man nur schmale Schlitze, als seien sie keine Menschen, sondern gesichtslose Geister.
Ich erinnerte mich an jene Wüstennacht in ferner Vergangenheit. Sollte ich nun ein zweites Mal durch ihre Klingen sterben? Hatte Ourida gemeint, daß wir uns im Jenseits wiedersehen würden?
»Feuer!« rief Dumont, als die Ritter uns fast erreicht hatten, aber nur die wenigsten Karabiner verschossen ihre todbringenden Kugeln. Der feine Sand, den der Sturm aufwirbelte, war in die Waffen eingedrungen und hatte sie unbrauchbar gemacht. Das zeigte sich auch, als die Husaren nach ihren Pistolen griffen. Wieder lösten sich nur vereinzelte Schüsse, und kein einziger Ritter stürzte vom Pferd. Der Chamsin schien sie mit einer schützenden Mauer zu umgeben.
Jetzt waren sie heran! Ihre Lanzen und Schwerter kreuzten sich unter lautem Klirren mit den gekrümmten Säbelklingen der Husaren. Mehrere von Dumonts Männern wurden von der Wucht des Angriffs umgerissen, aber ich sah auch zwei oder drei Ritter auf dem abschüssigen Boden der Senke straucheln.
Dicht hinter mir knickte ein Pferd ein und warf seinen Reiter im hohen Bogen aus dem Sattel. Ich wandte mich um und griff nach der Lanze, die er verloren hatte, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Wurde der Zeichner Bastien Topart in diesem Augenblick wieder zu Ritter Roland? Der Wimpel unter der Lanzenspitze flatterte aufgeregt im Wüstenwind, und ich erblickte auf der einen Seite das rote und auf der anderen das schwarze Kreuz.
Der gestürzte Ritter erhob sich schwankend. Seinen Schild mit dem doppelten Kreuz hatte er beim Sturz verloren, und er suchte gar nicht erst danach. Vielmehr zog er sein gewaltiges Schwert und kam auf mich zu.
Doch er schien noch unsicher auf den Beinen, und diese Unsicherheit galt es auszunutzen. Eine Stimme tief in mir ermahnte mich, daß es falsch sei, anderen nach dem Leben zu trachten. Als Onkel Jean mir Absolution erteilte, hatte ich geschworen, nie wieder einen Menschen zu töten. Aber mein eigenes Leben war in Gefahr, und zudem war ich in diesem Augenblick ein anderer.
Der, der ich einmal gewesen war, hatte die Oberhand gewonnen. Der Ritter in mir war stärker als der Klosterschüler.
Mit einem wütenden Schrei stürmte ich los und rammte meinem Gegenüber die Lanzenspitze in die Magengegend, mit solcher Macht, daß sein Kettenhemd ihn nicht zu schützen vermochte. Die Lanze brach dicht unterhalb der Spitze ab, und ich hielt nur noch einen Holzschaft mit zersplittertem Ende in Händen.
Der Ritter ging in die Knie und starrte auf die Lanzenspitze in seinem Körper. Der Wimpel, der noch daran hing, färbte sich rot. Als ich das sah, fühlte ich mich seltsam erleichtert. Vielleicht, weil dies der Beweis da-für war, daß ich es nicht mit Geistern zu tun hatte, sondern mit Sterblichen, mit Menschen.
Der Mann ließ das Schwert fallen und umfaßte mit beiden Händen das blutige Holzstück, das aus seinem Leib ragte wie ein abgebrochener Riesenstachel. Er wollte es herausziehen, erwischte aber nur den Wimpel, der sogleich vom Sturmwind davongeweht wurde.
Dann fiel er vornüber, zuckte noch zwei-, dreimal heftig und lag endlich still.
Ich zweifelte nicht daran, daß er tot war. Wieder hatte ich einen Menschen getötet, aber meine Erschütterung darüber währte nur wenige Sekunden. Würde die Reue später kommen, oder war ich wirklich ein anderer geworden? Eine Frage, die in diesem Moment nicht zu beantworten war und die ich deshalb verdrängte.
Als ich das Schwert des Getöteten aufgehoben hatte und mich umwandte, bot sich mir ein schrecklicher Anblick. Die meisten Husaren waren gefallen. Ihre zusammengekrümmten Leichname in den farbenfrohen Uniformen lagen wie Fremdkörper in der eintönigen Wüstenei. Sie waren dazu ausgebildet worden, Europas Wälder und Hügel zu durchstreifen, den Feind auszu-kundschaften, seinen Nachschub zu behindern und Nachzügler oder Spähtrupps in Scharmützel zu verwik-keln. Die Ritter und der Chamsin waren Feinde, denen sie nichts entgegenzusetzen hatten.
Den Rittern dagegen schien der Sandsturm nicht viel anhaben zu können. Vielleicht, schoß es mir durch den Kopf, hatten sie Jahrhunderte Zeit, sich an ihn zu ge-wöhnen. Nicht weit von mir erblickte ich Leutnant Dumont. Er verteidigte sich mit dem Säbel gegen einen Ritter, der ihn mit Schwert und Schild angriff. Dumont, der aus mehreren Wunden blutete, wich allmählich zurück. Lange würde er sich des Feindes nicht mehr erwehren können. Ich wollte ihm zu
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