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Das Wahre Kreuz

Das Wahre Kreuz

Titel: Das Wahre Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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beschäftigte, wenn auch schlechten Gewissens; statt dessen sagte ich: »Es war nur so ein Gedanke. Der Raum, in dem die Ritter Ourida töten wollten, erschien mir so sakral. Das Ganze hatte etwas von einer religiö-
    sen Zeremonie an sich. Einer abscheulichen Zeremonie, bei der ein Mensch geopfert werden sollte, und doch
    …«
    Onkel Jean nickte bedächtig. »Ich verstehe, was du meinst, Bastien. Und du hast recht, was dort geschehen sollte, war mehr als ein bloßer Mord. Für mich hatte es den Anschein, als wollten die Ritter sich von einem Dämon befreien.«
    »Ourida ein Dämon? Das ist nicht Ihr Ernst!«
    »Was wissen wir schon von ihr?« seufzte er, und ich spürte seinen Blick geradezu körperlich. Es war, als wollte er auf diese Weise in mein Innerstes eindringen und meine Gedanken, meine Seele erforschen.
    Früher, in St. Jacques, als ich noch ein Junge war, hätte ich diesem Blick nicht standhalten können. Ich wäre vor Vater Jean auf die Knie gefallen und hätte ihm all meine Sünden gebeichtet, hätte ihm jedes noch so kleine Geheimnis offenbart. Aber inzwischen war ich erwachsen, ein Mann. Gewiß, ich schätzte ihn und fühlte mich ihm verpflichtet, weil ich ohne ihn wohl in der Gosse gelandet wäre. Aber ich fühlte mich auch mit Ourida eng verbunden. Ein Band, das auf mysteriöse Weise seit Jahrhunderten bestand. Deshalb blieb ich bei meinem Schweigen. Zugleich fragte ich mich, ob mein Onkel seinerseits nicht mehr wußte, als er mir gegenü-
    ber offenbarte. Sein forschender Blick schien genau das zu sagen.

    Ich stürzte mich wieder in die Arbeit, weil ich im Augenblick nichts weiter tun konnte. Und weil sie mir vielleicht, so hoffte ich insgeheim, neue Erkenntnisse verschaffen würde, nicht nur über den Tempel, sondern auch über Ourida und mich. So entstanden in den folgenden Tagen nicht nur Skizzen von verschiedenen Räumen und einzelnen, herausragenden Ornamenten, sondern auch ein vollständiger Plan der unterirdischen Anlage.
    Als ich ihn vollendet hatte, war ich zunächst sehr zufrieden mit meiner Arbeit. Doch je länger ich den Plan betrachtete, desto mehr störte mich etwas daran. Ich brütete und brütete, kam aber nicht dahinter, was es war.
    Um meinen Kopf mit etwas frischer Luft freizupu-sten, ging ich durch das abendliche Lager, wobei ich Sergeant Kalfan wiedersah. Er schien mich gar nicht zu bemerken. Gedankenverloren hockte er auf einem klapprigen Schemel, der jeden Augenblick unter seinem Gewicht zuammenzubrechen drohte, und starrte, in der rechten Hand eine Schere, auf einen halbblinden Spiegel, der vor ihm an einer Zeltstange hing. Als ich ihn ansprach, zuckte er zusammen und wandte sich mit grimmigem Gesicht zu mir um.
    Als er mich erkannte, hellte sich seine Miene auf.
    »Ach, Sie sind’s, Bürger Topart. Ich dachte schon, so ein Trottel von Kamerad wollte mich erschrecken. Fast wäre es schiefgegangen.«
    »Was denn?«
    Er deutete auf seinen gewaltigen Schnauzbart. »Mein Bart, ich muß ihn stutzen, aber sehr sorgfältig. Ein un-gleichmäßig gestutzter Bart wirkt nicht imposant, sondern lächerlich. Das ganze Geheimnis liegt in der Symmetrie.«
    Kalfan hatte das letzte Wort kaum ausgesprochen, da kam mir auch schon die Erleuchtung. »Sergeant, Sie sind ein Genie!«
    »Wieso?«
    »Erzähle ich Ihnen später. Ich habe zu tun!«
    Aufgeregt holte ich meinen Plan und lief damit zum Zelt meines Onkels, der sich gerade den Schmutz und Schweiß des Tages vom Leib wusch.
    »Du hast es aber eilig«, sagte er, während er sich mit einem großen Handtuch abtrocknete. »Was gibt es?
    Haben die Engländer Kairo erobert?«
    »Nein, eher eine gute Nachricht. Hier, sehen Sie, Onkel!«
    Ich hielt ihm den Plan unter die Nase.
    »Den kenne ich doch schon.«
    »Ja, aber das Geheimnis, das er verbirgt, kennen Sie nicht. Ich habe lange darüber gebrütet, bis Sergeant Kalfan mich auf die Lösung gebracht hat.«
    »Kalfan? Auf die Lösung?«
    »Das tut jetzt nichts zur Sache. Der Plan ist wichtig.
    Irgendwie erschien er mir unvollständig, obwohl ich doch sämtliche Räume erfaßt habe. Jetzt weiß ich, warum. Es gibt noch einen Raum, den wir bislang nicht gefunden haben.«
    Onkel Jean sah mich an, als halte er mich für gei-stesgestört. »Wie kommst du darauf?«
    »Das ganze Geheimnis liegt in der Symmetrie«, wiederholte ich die Worte des Sergeanten. »Sehen Sie sich den Plan noch einmal genau an, Onkel. Alle Räume sind beiderseits einer Achse angeordnet, wobei jeder ein genau passendes

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