Das Wahre Kreuz
etwas zu trinken. Danach ließ er den Schlauch herumgehen, während er sich unseren Kranken genauer ansah.
»Die Schlange hat eurem Bruder einiges von ihrem Gift hinterlassen, aber ihr habt klug an ihm gehandelt.
Vielleicht wird er gesund. Sobald die Meinen hier sind, wird meine Tochter sich um ihn kümmern.«
»Wieso deine Tochter?« fragte ich.
»Jeder Mensch versteht sich auf einige Dinge besonders gut. Eine ihrer besonderen Gaben ist es, Kranke zu heilen.« Nach weniger als einer halben Stunde tauchte Rassams Bruder wieder auf und brachte weitere Beduinen mit, die einige Kamele sowie eine große Herde Ziegen und Schafe mit sich führten. Es war kein großer Stamm, wie ich erwartet hatte, sondern nur eine Gruppe von nicht mehr als zehn oder zwölf Personen. Offenbar mußten die Beduinen sich aufteilen, um in diesem Landstrich genügend Weideplatz für ihre Herden zu finden.
Schnell war ein großes Zeltdach errichtet, viel halt-barer als unsere behelfsmäßige Konstruktion, und eine junge Frau, Rassams Tochter, ließ sich neben von Kirchheim nieder. Sie verbrachte einige Stunden mit dem Kranken, sprach mit ihm, strich ihm über die Stirn und flößte ihm wiederholt ein Getränk aus einer schmalen Lederflasche ein.
Der Abend war längst hereingebrochen, als sie sich vom Krankenbett erhob und uns die gute Nachricht brachte: »Euer Bruder wird noch etwas fiebern, aber er wird sich von dem Schlangenbiß erholen.«
Ihr unverschleiertes Gesicht, sehr ebenmäßig geschnitten, mit hohen Wangenknochen und vollen, sanft geschwungenen Lippen, beeindruckte mich durch seine natürliche Schönheit, die keinerlei künstlicher Hilfsmittel bedurfte, um das Herz eines Mannes zu entflammen.
»Ich danke dir in unser aller Namen«, sagte ich.
»Verrätst du mir, wie du heißt, damit ich dich in meine Gebete einschließen kann?«
Erstaunt sah sie mich an. »Ich bin für dich eine Un-gläubige, und doch willst du mich in deine Gebete einschließen?«
»Du bist ein guter Mensch, und Gott wird das erkennen.«
»Ich danke dir, Mann mit dem kupfernen Haar.« Sie lächelte, und mir wurde noch wärmer ums Herz.
»Mein Name ist Ourida.«
24. KAPITEL
Saladins Rache
uf eine Einladung Rassams hin versammelten A meine Brüder und ich uns – mit Ausnahme des kranken Johanniters – um ein großes Lagerfeuer, an dem auch die Beduinen Platz nahmen. Neben Rassam und seinem etwas jüngeren Bruder Okba waren das ein alter Mann, Okbas Schwiegervater, und zwei jüngere, Okbas Söhne. Rassam hatte, wie ich später erfuhr, keine Söhne, aber drei Töchter, von denen Ourida die älteste war. Zwei weitere Töchter Okbas waren noch im Kindesalter.
Wir hatten Bedenken wegen des weithin sichtbaren Feuers, äußerten sie aber nicht laut, um die Beduinen nicht zu alarmieren. Wenn sie erfuhren, daß wir Soldaten aus König Guidos Heer waren, mochte sich ihre Freundlichkeit leicht ins Gegenteil verkehren. Wir muß-
ten darauf vertrauen, dass womöglich durch dieses Gebiet streifende Soldaten Saladins uns ebenfalls für Beduinen halten würden.
Wohl aßen wir zusammen, eine stark gewürzte Ge-müsesuppe und anschließend einen dicken, nahrhaften Gerstenbrei, aber es kam kein rechtes Gespräch in Gang. Die Söhne der Wüste schienen darauf zu warten, daß wir uns erklärten, doch wir verhielten uns abwartend, um uns nicht durch eine unbedachte Äußerung zu verraten.
Nach dem Essen brachten Ourida und ihre Schwestern uns kleine Gefäße mit einem süßen schwarzen Trank, der eine stark belebende Wirkung besaß, und da endlich sagte Rassam: »Die Schlacht bei den Hörnern von Hattin war lang und grausam. Die Christen haben sich tapfer geschlagen. Sie sind einen ehrenvollen Tod gestorben.«
Gilbert runzelte die Stirn und sah das Oberhaupt der Beduinenfamilie forschend an. »Warum sprichst du von dieser Schlacht?«
Rassam erwiderte den durchdringenden Blick. »Um euch zu sagen, daß ich euch für tapfere Männer halte.
Ihr habt die Schlacht überlebt, aber ich sehe euch an, daß ihr nicht vor ihr geflohen seid.«
Meine Brüder und ich wechselten schnelle Blicke, doch keiner schien zu wissen, was zu tun war, jetzt, da offenkundig war, daß Rassam uns durchschaut hatte!
»Du hältst uns für christliche Soldaten?« fragte Gilbert lauernd, während seine Rechte sich vorsichtig zum Griff seines Schwertes vortastete.
»Eure Haltung verrät, daß ihr Krieger seid, die den Tod nicht scheuen. Warum sollten Frankensoldaten sich hier aufhalten und die
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