Das Wahre Kreuz
Kleider von Gläubigen tragen? Die einzige Erklärung ist die, daß ihr zu den wenigen Glücklichen gehört, die dem Massaker von Hattin entkommen sind. Aber keine Angst, wir werden euch nicht verraten.«
»Warum nicht?« erkundigte sich Gilbert, die Waf-fenhand noch immer in der Nähe des Schwertgriffes.
Hatte Rassam gesehen, daß Gilbert auf dem Sprung war? Falls ja, ließ er es sich nicht anmerken.
Er sagte in aller Ruhe: »Saladin und die Seinen blik-ken hochmütig auf uns Söhne der Wüste herab. Für sie zählt nur der Gläubige etwas, der in der Stadt wohnt und eine Schule besucht, oder jener, der als Krieger für sie kämpft. Wir aber sind in ihren Augen nutzlos, tragen nichts bei zum Ruhme des Propheten oder des Sultans. Schon oft haben Saladins Soldaten, wenn ihre Vorräte knapp wurden, unsere Brüder überfallen und ihre Herden geraubt. Darum sind viele Söhne der Wü-
ste den Christen enger verbunden als ihren eigenen Glaubensbrüdern.«
Was Rassam sagte, war mir nicht gänzlich neu. Nur hatte ich es noch nie in solcher Deutlichkeit aus dem Munde eines Muslims gehört. Viele Beduinen hatten sich schon christlichen Herren als Kundschafter ange-dient, weil sie die Sache Saladins nicht als die ihre ansahen. Und für uns war es beruhigend, daß auch Rassam kein Freund des Sultans zu sein schien.
»Haltet ihr mich für einen Lügner?« fragte er.
»N-nein«, antwortete ich überrascht. »Wie kommst du darauf?«
Rassam blickte Gilbert an. »Wer seine Hand an die Waffe legt, hat entweder Angst oder hegt böse Absichten. Da ihr uns das Gastrecht gewährt habt, dürftet ihr keine bösen Absichten gegen uns hegen. Und nach dem, was ich euch eben erzählt habe, dürftet ihr auch keine Angst vor uns haben. Es sei denn, ihr haltet mich für einen Lügner.«
Gilbert nahm die Hand vom Schwert und lächelte dünn. »Verzeih, Rassam. Deine Worte sind aufrichtig, da bin ich sicher, aber das Mißtrauen hat mich übermannt. Wir sind in einem feindlichen Land, und eine Unaufmerksamkeit oder falsche Entscheidung kann schnell den Tod bringen.«
Er sah zu dem Krankenlager hinüber, wo Ourida gerade ein feuchtes Tuch auf von Kirchheims Stirn legte.
»Unser Bruder hat das heute auf schmerzhafte Weise erfahren und ist nur dank eurer Hilfe mit dem Leben davongekommen. Also vergib mir mein Mißtrauen, Sohn der Wüste!«
Rassam nickte. »Ich verstehe dich, Franke. Du mußt die Deinen beschützen, ganz so, wie ich die Meinen beschützen muß. Die Wüste kann in der Tat ein feindliches Land sein, wenn man sie nicht genau kennt und sich nicht an ihre Regeln hält. Unser tägliches Leben hier ähnelt oft einem Krieg.«
Ich ergriff das Wort. Um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, aber auch, weil mich die Neugier plagte.
»Weißt du Näheres über den Ausgang der Schlacht bei den Hörnern von Hattin? Wir haben ihn nicht mehr erlebt.«
»Wir sind gestern einem kleinen Trupp von Saladins Reitern begegnet, die uns zum Glück nicht angriffen, sondern friedlich Handel mit uns trieben. Deshalb weiß ich, was sich ereignet hat.«
Was Rassam erzählte, ließ uns den Atem stocken, er-füllte uns mit Abscheu und Entsetzen, mit Trauer und Zorn. Der verzweifelte Angriff aller verbliebenen christlichen Ritter, den wir vor dem Verlassen des südlichen Horns noch beobachtet hatten, war gescheitert. Trotz hoher Verluste hatten unsere Brüder sich noch einmal zu einer Attacke gesammelt, aber auch da war ihnen das Kriegsglück verwehrt geblieben.
Geschlagen und entmutigt waren König Guido und seine Ritter auf den Hügel zurückgekehrt, um sich auf einen Gegenangriff der Sarazenen vorzubereiten. Diesen hatte Saladin mit seinen besten Truppen geführt, und eine Verteidigungsstellung nach der anderen war gefallen. Schließlich, berichtete Rassam, hatten die Muslime das Zelt des Königs erreicht, wo sich ein letztes Häuf-lein Tapferer gegen ihre Angriffe wehrte. »Auch diese Christen wurden einer nach dem anderen überwun-den«, sagte Rassam, »und das Wahre Kreuz, das neben dem roten Zelt des Königs stand, ist in die Hände der Angreifer gefallen. Ein Reiter Saladins hat es an sich genommen und unter dem Jubel Tausender Kehlen in die Luft gehalten.«
»Was ist weiter mit dem Kreuz geschehen?« fragte ich.
»Es ist zum Zeichen des Sieges Saladin überbracht worden. Gewiß wird der Sultan dieser Trophäe einen Ehrenplatz geben.«
Ich atmete ein wenig auf. So schrecklich es auch war, sich den Bericht über unsere Niederlage
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