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Das Wahre Kreuz

Das Wahre Kreuz

Titel: Das Wahre Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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machst etwas mit deinen Augen.«
    »Mit meinen Augen?« Er lachte auf. »Ich benutze meine Augen hauptsächlich zum Sehen wie alle anderen Menschen auch. Nein, vonnöten waren meine Augen nicht, aber sie waren eine Hilfe. Du hast in sie hinein-gesehen wie in einen Spiegel und dabei dich selbst erblickt – oder den, der du einmal warst.«
    »Du stellst dein Licht unter den Scheffel, Jussuf. Oh-ne dich hätte nichts von all dem gesehen. Was ist das für eine Gabe? Woher kommt sie?«
    »Hat Ourida dir nicht gesagt, daß es Menschen mit besonderen Gaben gibt? Zu fragen, woher diese Fähigkeiten kommen, hieße, Allâhs Pläne erforschen zu wollen. Wer will sich das anmaßen? Du?«
    »Ich will mich nicht an Gottes Stelle setzen. Ich möchte nur verstehen! Warum seid ausgerechnet ihr mit dieser Gabe gesegnet, Ourida und du?«
    »Sprichst du von der früheren Ourida oder der jetzigen?«
    »Bleibt sich das nicht gleich? Aber gut, sprechen wir von der jetzigen.«
    »Auch ihr hat Allâh seine Pläne schwerlich offenbart. Aber wenn du eine irdische Erklärung dafür suchst, daß sowohl Ourida als auch ich diese Gabe besitzen, wirst du dich vielleicht mit der Antwort zufrie-dengeben, daß sie die Tochter meiner Schwester ist.«
    »Du bist … ihr Onkel?«
    »Auch so könnte man es ausdrücken«, sagte er und erhob sich lächelnd. »Jetzt aber, Musâfir, sollten wir wirklich ins Lager zurückkehren, damit du dich vor dem Essen noch etwas ausruhen kannst. Heute abend stehe ich dir Rede und Antwort. Aber solange wir nicht ein gutes Stück Hammelfleisch im Magen haben, sage ich nichts mehr!«
    Er wollte mir aufhelfen, doch ich kam aus eigener Kraft auf die Beine. Anfangs fühlte ich mich etwas wacklig, aber nach ein paar Schritten ging es. Vermutlich hatte Jussuf recht, und ich brauchte dringend etwas Festes im Magen, wenn ich auch keinen Hunger verspürte. Als wir den ruhigen Platz verließen, an dem ich
    – zwar nicht leibhaftig, aber doch mit dem Geist – in die Vergangenheit gereist war, beschlich mich leise Wehmut. Mir war, als ließe ich ein Stück von mir selbst zurück.
    Als wir auf die Zelte der Abnaa Al Salieb zugingen, tauchte vor meinem geistigen Auge ein anderes, viel kleineres Zeltlager auf: das Lager Rassams, und ich sah wieder die toten Beduinen vor mir liegen. Das schreckliche Bild aus der Vergangenheit überlagerte die friedliche Gegenwart, und ich spürte, wie eine eisige Hand nach meinem Herzen griff. Ganz so, als hätte ich nichts Vergangenes gesehen, sondern Zukünftiges.
    »Ist dir nicht wohl?« fragte Jussuf.
    »Doch, es geht schon«, sagte ich, weil ich befürchtete, er würde mich sonst schonen wollen und mir an diesem Abend keine weiteren Antworten geben. »Ich bin nur etwas durcheinander. Das ist wohl kein Wunder nach allem, was ich heute erfahren habe.«
    Wir setzten unseren Weg fort, und lärmende Kinder kamen uns entgegen. Sie tobten ausgelassen um uns herum und fanden Gefallen daran, sich von ihrem Scheik necken zu lassen. Seine Unbekümmertheit überraschte mich. Wurde ein Mann mit seiner Gabe, seinem Wissen, von seiner Verantwortung nicht geradezu erdrückt? Vielleicht war genau das die Antwort: Durch seinen unbeschwerten Umgang mit den Kindern schuf er sich ein Gegengewicht zu all den ernsten Dingen, die ihn beschäftigen mussten.
    Nach Rabja suchte ich in der Kinderschar vergebens.
    Ich fand sie in der Nähe von Jussufs Zelt, wo sie uner-müdlich ihren Ball in die Luft warf und wieder auffing, als gäbe es auf der Welt nichts außer ihr und diesem Spielzeug. Dabei wirkte sie aber nicht fröhlich, wie ich es von einem spielenden Kind erwartete, sondern ernst und geistesabwesend. War sie in Gedanken bei ihrer Mutter, ihrem Vater? Durchlebte sie noch einmal das Gemetzel, bei dem ihre Eltern ums Leben gekommen waren?
    Ich glaubte, mich gut in das Mädchen hineinverset-zen zu können. Auch ich hatte meine Eltern früh verloren, und so wie Jussuf sich Rabjas angenommen hatte, hatte sich damals Onkel Jean um mich gekümmert. Die Zeit im Kloster St. Jacques mochte in der Rückschau eine schöne gewesen sein, aber es hatte doch Momente gegeben, in denen ich mit meinem Schicksal und mit Gott haderte.
    Onkel Jean hatte sich nach Kräften um mich ge-kümmert, aber er war nun einmal nicht mein Vater, und die Mönche waren trotz aller Herzlichkeit nicht meine Familie. Manchmal, wenn ich mich unbeobachtet glaubte, hatte ich, den Zeichenblock auf den Knien, dagesessen und einfach nur geweint.
    Unsere Schritte

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