Das Wahre Kreuz
rissen Rabja aus ihrer Versunkenheit, und bei unserem Anblick trat sogar ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht. Sie warf mir den Ball zu, aber ich war wohl zu geschwächt. Obwohl es ein einfacher Wurf war, griff ich daneben. Statt meiner hob der Scheik ihn auf und warf ihn wieder zu Rabja, die hochsprang und ihn fing.
»Musâfir fühlt sich nicht recht wohl«, erklärte Jussuf dem Kind. »Er kann erst morgen wieder mit dir Ball spielen.«
Enttäuschung verdüsterte Rabjas Züge.
Ich trat zu ihr, strich ihr übers Haar und sagte auf arabisch:
»Wenn du magst, komm mit ins Zelt. Dann üben wir noch ein wenig die Sprache der Franken.«
Sie warf Jussuf einen fragenden Blick zu, und er ge-währte ihr die Erlaubnis durch ein Lächeln.
Im Zelt streckte ich mich auf meinem Lager aus und spürte sogleich, wie gut mir das tat. Obwohl ich den Tag über nicht viel mehr getan hatte, als im Schatten der Palmen zu sitzen, empfand ich eine Erschöpfung, als hätte ich die lange Schlacht bei den Hörnern von Hattin und all die folgenden Abenteuer Roland de Girauds leibhaftig durchgestanden.
Ich zwang mich, nicht mehr daran zu denken. Es würde mir helfen, für eine Weile abgelenkt zu sein. Ich drehte mich auf die Seite, stützte mich auf den Ellbogen und sah Rabja an, die meinen Blick mit abwartender Neugier erwiderte. Unvermittelt setzte ich ein Grinsen auf, und auch Rabja, durch mich angesteckt, grinste breit. Dann lachte sie.
»Lachen«, sagte ich. Es war das erste französische Wort, das Rabja an diesem Tag lernen sollte.
28. KAPITEL
Fragen und Antworten
ach auf, Musâfir, das Essen kocht bereits über W den Feuern. Am liebsten würde ich dich schlafen lassen; es würde dir gut bekommen. Aber ich habe dir für heute abend Antworten versprochen.«
Jussuf war an mein Lager gekommen. Ich hatte tatsächlich tief geschlafen. Als ich jetzt die Augen aufschlug, lag ich immer noch auf der Seite und blickte direkt in Rabjas unschuldiges Gesicht. »Sie hat sich nicht von der Stelle bewegt, obwohl Muna sie mehrmals gerufen hat«, erklärte Jussuf. »Sie wollte über deinen Schlaf wachen. Ich glaube, Musâfir, du hast eine wahre Freundin gefunden.«
» Samihni – verzeih, Rabja«, sagte ich und fuhr auf arabisch fort: »Du bist eine sehr geduldige Schülerin, aber du hattest heute einen müden Lehrer.«
Sie grinste, wie ich es ihr vorgemacht hatte. » Ta-mahm – du hast recht.«
Als ich sie verblüfft ansah, lachte sie laut und wiederholte das französische Wort für Lachen.
Ich setzte mich auf und legte meine Hand auf ihren Kopf. »Du bist nicht nur eine geduldige, sondern vor allem eine sehr gute Schülerin.«
Das Mädchen schlug die Augen nieder wie eine junge Frau, die von ihrem Verehrer ein Kompliment erhalten hat.
Jussuf schob den Vorhang zurück, der mein Lager vom Rest des Zeltes abtrennte. »Weil dein Lehrer dich gelobt hat, Rabja, sollst du eine Belohnung erhalten.
Lauf zu Muna und sag ihr, sie möchte dir einen süßen Kuchen geben.« Rabja bedankte sich und eilte davon.
Als Jussuf und ich das Zelt verließen, sah ich sie bei Muna am Feuer stehen, wo die Alte kräftig in einem großen Kessel rührte. Muna nannte ihr verschiedene Gewürze, die sie brauchte, und Rabja reichte sie ihr.
Ich wünschte von Herzen, das Kind möge zurück ins Leben finden. Ein Anfang schien gemacht.
»Die Abnaa Al Salieb sind das Leben mit dem Tod gewöhnt, die ständige Bedrohung durch den Feind«, sagte der Scheik, für den mein Gesicht ein offenes Buch sein mußte. »Manchmal ist der Feind lange Zeit unsichtbar, Jahre oder Jahrzehnte hindurch, aber wir wissen, daß er da ist. Daß er unerwartet und ohne Erbarmen zuschlägt. Wie an jenem Abend, als Rassam und die Seinen ausgelöscht wurden.« Ich winkte Rabja noch einmal zu, freute mich über ihr Lächeln und begleitete Jussuf durch das Lager, das am Abend, im Schein der vielen Feuer, fremdartig und behaglich zugleich anmutete. Die Frauen bereiteten das Essen zu, und die Männer fanden sich zusammen, um wichtige Dinge zu besp-rechen oder sich Geschichten über vergangene Ruhmes-taten anzuhören. Das mit anzusehen und mitzuerleben erschien mir als etwas ganz Besonderes.
Wir Franzosen waren in dieses Land gekommen, um es zu erobern und zu erforschen. Doch wo wir uns auch niederließen, zwangen wir den Menschen schnell unsere Lebensweise auf, aus Gewohnheit und um die vertrauten Annehmlichkeiten des täglichen Lebens nicht zu missen. Versuchten wir in Kairo die einheimische
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