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Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Titel: Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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dem Wasser. Trotzdem rappelten wir uns rasch genug hoch, um unsere Ausrüstung zu schnappen und Chance durch die engen Gassen zu folgen, wobei wir uns immer wieder duckten und nach hinten spähten, bis wir zu einer Schenke gelangten. Ich nehme jedenfalls an, daß sie es eine Schenke genannt hätten, obwohl es dort nicht mehr als Tee und ein paar Gemüsegerichte gab.
    Es wartete dort jemand auf uns, den sie ›Gouverneur‹ nannten, ein magerer brauner Mann mit kleinem silbernem Kinnbart wie die dünnen Barthaare einer Ziegenbocks. Er sagte, sein Name sei Rätsel.
    »Rätsel. Eine Frage mit hintergründiger Antwort oder eine Antwort mit hintergründigem Sinn. Sagt meine Tochter jedenfalls. Sie wird gleich hier sein, um euch durch unser Gebiet nach Süden zu bringen. Wir wollen weder mit euch noch mit den Pfandleihern etwas zu tun haben, die gleich nach euch eintrafen.«
    »Segelten sie wirklich hinter uns in den Hafen?« Chances Frage klang mehr neugierig als ängstlich. Nun ja, hinter ihm waren die Pfandleiher ja auch nicht her.
    »Jawohl. Der Dämon, den sie dabei haben, beschwert sich bereits, wie taub und blind er hier in unserem Land ist. Dann sollten wir ihm doch am besten helfen, so schnell wie möglich wieder von hier fortzukommen, oder?« Er lächelte sarkastisch. »Und euch auch. Für euch Spieler gibt es hier kein Spiel. Eure Dämonen können hier keine Gedanken lesen außer ihren eigenen, eure Seher können nicht weiter sehen, als ihre Augen reichen. Eure Schildwächter können kein Feuer entfachen, außer mit Stahl und Funken, wie jedes Kind auch.«
    »Euer Land liegt tatsächlich außerhalb des Spiels? Ich dachte eher, Chance hätte sich einen Scherz erlaubt, als er sagte …«
    »Kein Scherz. Hier wird nicht gespielt. Trotzdem – wir wollen euch nichts Böses und und werden euch deshalb helfen, eure Reise fortzusetzen. Nach Süden, sagtet ihr?«
    »Danke für Eure Hilfe«, murmelte ich, was ein barsches Lachen provozierte.
    »Purer Eigennutz, Junge. Wir wollen hier nichts mit eurem unsinnigen Spiel zu tun haben, nichts von eurem Blut und Feuer wissen. Wenn ihr fort seid, verschwinden auch die Pfandleiher. Es ist also zu unserem Besten, nicht zu eurem.«
    So lernte ich, daß Menschen hilfreich handeln können, ohne einen im geringsten zu mögen. Der Governeur schickte nach einer Weile seine Tochter zu uns, deren fohlenartige lange Beine zerkratzt vom Laufen im Unterholz waren und deren Haar wie ein goldener Vorhang bis zur Taille herabfiel. Sie hieß Tossa. Rätsel hielt sie bei der Schulter, ihre Augen in gleicher Höhe mit meinen, während er ohne Lächeln zu Chance sagte:
    »Bei uns existiert kein Festival mit verrohten Bräuchen, Sir. Seht zu, daß Eure Burschen das kapieren. Seht zu, daß Ihr ihnen das klarmacht, oder Ihr werdet dieses Land nicht lebend verlassen.« Chance sagte, er würde es uns erklären, natürlich, und Yarrels rotangelaufenes Gesicht zeigte, daß er den Sinn bereits verstanden hatte. Ich war ein solches Unschuldslamm, daß ich nicht einmal wußte, wovon sie sprachen. Für mich war es gleichgültig, ob ein Junge, ein Mädchen oder ein altes Weib uns führte. Tossa warf den Kopf zurück wie ein kleines Pferd, und ich glaubte beinahe, sie wiehern zu hören, doch statt dessen sagte sie uns, wir sollten ihr so rasch wie möglich folgen, um in der Nacht unterzutauchen, die jetzt wirklich langsam hereinbrach.
     
    Ach, Tossa. Wie soll ich sie euch bloß beschreiben? Im Grunde war sie einfach ein Mädchen, ohne besondere Fähigkeiten oder sehr viel Verstand. In der Welt des Wahren Spieles wäre sie Bauer geworden, und ihre einzigen Werte hätten in ihrer Jugend oder Jungfräulichkeit legen, denn einige der Mächtigen lieben das Vergängliche gerade deshalb, weil es vergänglich ist. Vielleicht hätte sie auch überhaupt keinen Wert besessen und ihr Leben als Nichts verbracht. Aber für mich – für mich wurde sie mehr als alles andere, was auf der Welt Wert besitzt. Ihre Arme, die sie der Sonne entgegenstreckte, ihre langgliederigen Hände, deren Gesten wie Blüten der Bäume in sanftem Wind waren, ihre Haare, die im Sonnenschein schimmerten oder in denen Schatten der Dämmerung nisteten, ihr Lachen, wenn sie mit mir sprach, das Gefühl, als sie die Verbände auf meinem Kopf berührte und sagte. »Armer Kerl, hat dich die Dummheit im Land dort draußen so zugerichtet …«
    Sie wollte mich nur aufziehen. Yarrel sagte, daß Mädchen Jungen immer aufzögen, aber mir fehlte seine

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