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Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Titel: Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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Herolde es taten. Ich kroch zur Mitte der Ruine, wobei ich den Horizont keinen Moment lang aus den Augen ließ. Zerbröckelnde Korridore führten zu Räumen ohne Dächer, und schließlich fand ich eine Mauer mit Fensterspalten, die mir einen Blick in den Innenhof gestatteten.
    Von den drei Gestalten, die sich dort versammelt hatten, erblickte ich zunächst nur die Heilerin. Die Falten ihres hellen Gewandes breiteten sich über die bemoosten Steine, halb im Dunkeln und halb im Licht der Feuersäule, die sich in lüsterner Trägheit hob und senkte. Daneben stand eine Priesterin, die sich im Rhythmus des Feuers bewegte. Ich wußte auf Anhieb, was sie war, denn soviel Schönheit und Glanz waren unwirklich, jenseits jeder natürlichen Lieblichkeit. Der Herold saß neben ihr in seiner schimmernden Uniform und bewegte die Hände auf und nieder, um das Feuer tanzen zu lassen. Die drei Gestalten befanden sich in Atemnähe, und ich befürchtete fast, daß sie meine Herzschläge hörten. So lange, wie ich die Heilerin nicht von ihnen fort und zum Ufer gelockt hatte, wäre dies verhängnisvoll gewesen.
    Als ich mich gerade bemühte, einen Plan zu entwerfen, fiel das Feuer von einer tanzenden Säule zu einer gewöhnlichen Flamme zusammen, einem kleinen Lagerfeuer. Die Priesterin seufzte und sagte in anklagendem Ton: »Jetzt habe ich ein Feuernetz gewoben, Borold, und niemand konnte es bewundern …«
    Er holte einen Umhang und legte ihn um ihre Schultern, wobei er ihren Arm sanft streichelte. »Ich habe es bewundert, Dazzle. Wie immer …«
    Die Heilerin machte eine verärgerte Handbewegung. »Es ist jetzt kalt hier, das ist das einzige, was du fertiggebracht hast. Warum findest du dich nicht endlich damit ab, allein zu leben, und läßt diese kindischen Spielereien sein?«
     
    »Laß gut sein, Seidenhand«, wandte der Herold ein. »Dazzle hat eine Feuersäule geschaffen, und die habe ich tanzen lassen. Dabei haben wir zusammen nicht mehr Kraft versammelt, wie du zum Heilen eines Spatzes bräuchtest. Warum soll sie sich nicht ein bißchen vergnügen?«
    »Wann hätte sie je etwas anderes außer zu ihrem eigenen Vergnügen getan?« konterte die Heilerin. »Wir hocken hier wie Dachse auf einem Erdhaufen, weil Dazzle es nicht lassen konnte, sich zu vergnügen.«
    Als sich die Priesterin nach ihr umwandte, sah ich wieder ihr makelloses Antlitz, das sich nun spöttisch verzogen hatte. »Du wirst erst zufrieden sein, wenn du mich vernichtet hast, Heilerjungfer. Du bist mir gegenüber treulos, weil du wie immer eifersüchtig und neidisch auf meine Gefolgschaft bist.« Die Frau drehte und wand sich im Feuerschein, streckte sich wie eine Katze in zufriedener Selbstversunkenheit. »Wir werden nicht lange hier bleiben. Himaggery wird feststellen, daß er mich vermißt – was er auf jeden Fall tun wird –, und mir eine Nachricht schicken lassen, daß ich zur Leuchtenden Domäne zurückkehren soll. Der Zauberer wird uns bald zurückholen.«
    »Ich bin nie treulos gewesen«, erwiderte die Heilerin mit leiser, angespannt klingender Stimme. Auch ohne daß ich ihr Gesicht sehen konnte, wußte ich, daß sie mit den Tränen kämpfte. »Aber ich würde lieber dort leben, wo ich meine Kräfte einsetzen könnte, um zu heilen. Hier kann ich gar nichts tun, nicht das geringste.«
    Sie wird schon bald genug zu tun bekommen, dachte ich, als ich mich von dem Fensterspalt abwandte, um zu den dreien hinunterzugehen. Ich hatte ein oder zwei Schritte getan, als ich, einer plötzlichen Eingebung folgend, mein weißes Hemd auszog und in den Fensterspalt hängte. Eine leichte Brise bewegte es gut sichtbar im Feuerschein.
    Draußen im Freien angekommen, legte ich die Hände an den Mund, um den hallenden Geisterruf auszustoßen, mit dem wir Jungen uns gegenseitig auf den Dachböden in Mertynhaus erschreckt hatten. Als ich mich dem Grabhügel näherte, erhob sich der Herold hoch in die Luft. »Wer naht?« rief er, aber ich antwortete nicht. Ich wußte, daß er bloß einen schwarzen Umhang sah, ein Schädelgesicht, einen Nekromanten. Ich breitete den Umhang zur Begrüßung wie Fledermausflügel aus und rief in der tiefsten Stimmlage, die ich hervorbringen konnte:
    »Der Überbringer einer Nachricht, Herold, von einem Zauberer für eine, die unter dem Namen Seidenhand, die Heilerin, bekannt ist …«
    Gesteinsbrocken lösten sich, als die beiden Frauen auf den Hügel kletterten, um sich neben den Herold zu stellen. Ich schaute die Priesterin nicht an, sondern hielt

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