Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug
später, daß das von der Art und Weise herrührte, wie wir in den Schulhäusern gelebt hatten, völlig ohne Privatsphäre oder etwas, das einem wirklich ganz allein gehörte. Es gab wenig Geheimnisse und so gut wie keine persönlichen Besitztümer. Geheime Sachen besaßen einen hohen Wert, und diese hier waren wirklich wunderbar, so sammelte ich sie ein wie ein Eichhörnchen Nüsse, um sie rasch zu horten. Chance und Yarrel achteten sowieso nicht auf mich, denn ihre ganze Aufmerksamkeit war auf die Heilerin gerichtet, die festgestellt hatte, daß ihre gesamten Habseligkeiten verschwunden waren, Borold und Dazzle ebenso, und die nun laut wehklagte.
»Meine Kleider«, jammerte sie. »Mein Schuhe, meine Schachtel mit Kräutern. Alles weg … Warum haben sie das getan?«
»Vielleicht wollten sie Euch folgen«, gab Yarrel zu bedenken. »Zu diesem Zauberer, von dem Peter Euch angeblich eine Botschaft gebracht hat.«
»Bei Eis und Wind und den sieben Höllen«, sagte sie. »Diesen Narren ist das zuzutrauen.« Dann versank sie in Schweigen, und wir konnten zunächst nicht begreifen, was sie eigentlich damit gemeint hatte. Es blieb uns nichts anderes übrig als gemeinsam weiterzuziehen, denn die Leuchtende Domäne des Zauberers Himaggery lag im Süden, auf unserem Reiseweg.
Bevor wir aufbrachen, ruhten wir uns noch einmal aus, und ich weinte mich in den Schlaf, zutiefst traurig wegen Tossa, wobei ich zu mir selbst sagte: ›So ist es, wenn man liebt.‹ Es war keine Liebe, ganz und gar nicht, aber das wußte ich damals noch nicht. Als wir aufwachten, stand der Mond hoch am Himmel, um uns den Weg nach Süden zu beleuchten.
Während der Weiterreise lernte ich einiges mehr über Frauen. Yarrel brachte es mir bei. Für ihn war die Heilerin kein geheimnisvolles oder fremdartiges Wesen, sondern einfach eine Frau. Soweit ich feststellen konnte, behandelte er sie genauso, wie er Tossa behandelt hatte, nämlich mit einer Art augenzwinkerndem Respekt, der viel Humor enthielt. Im ersten Dorf, das wir erreichten, bestand er darauf, Seidenhand ein Gewand zu kaufen, weil sie nur eine einzige Robe mit Umhang bei sich hatte, beides bereits ziemlich mitgenommen von der Reise. Die Menschen, die sahen, daß eine Heilerin kam, konnte das jedoch nicht davon abhalten, den Ofen auf dem Marktplatz anzufeuern und die Kranken herbeizuschleppen und darauf zu legen. Die Heilerin ging in sich gekehrt und mit glitzernden Augen herum und berührte die Kranken da oder dort, bis sich schließlich am Ende die meisten erhoben hatten und der Ofen genauso kalt geworden war wie meine Hand, soviel Kraft hatte Seidenhand aus der Umgebung gezogen. Man bezahlte sie gut, und sie bestand darauf, uns das Geld für das Gewand wiederzugeben, obwohl ich meinte, die Kleidung sei nur eine kleine Wiedergutmachung dafür, daß sie mich geheilt habe.
»Ich habe eure Gesellschaft«, erwiderte sie schlicht, ohne diesmal wie ein Haufen Krähen loszuplappern. Sie war erschöpft. Ich las es in ihrem Gesicht. »Es ist gut, unterwegs Gesellschaft zu haben, selbst wenn sie nur aus Bauern und Jungen besteht, falls ihr mir die Bemerkung nicht übelnehmt.«
Wir sagten, daß wir die Wahrheit überhaupt nicht übelnähmen. Später, als wir unser Nachtlager aufschlugen, schlang sie ihren hellen Umhang um sich und kämmte sich das Haar. Wieder fielen mir Vögel ein, aber diesmal die prächtigen, unberechenbaren Papageien mit ihrem plötzlichen Gelächter und den klugen Augen. Seidenhands Haar besaß die Farbe silberner Holzasche, und ihre Augen waren grün wie Blätter in ihrem blassen, ovalen Gesicht. Chance ergötzte sich wieder einmal an seinen Karten, und sie lehnte sich an seine Schulter, um mit dem Finger unseren Weg südlich durch die Berge zu verfolgen. »Dazzle ist zur Leuchtenden Domäne gegangen«, sagte sie. »Sie und Borold glauben, Himaggery habe nach mir geschickt. Ha, diese Hexe! Das hat ihre Eifersucht zum Kochen gebracht – der Gedanke, jemand könnte nach mir geschickt haben.« Sie klang sehr müde. Ich erinnerte mich an Dazzles Schönheit und fröstelte. Worauf konnte jemand wie sie eifersüchtig sein? »Sie bildet sich ein, ihn zu lieben, den Zauberer, versteht ihr!« fuhr Seidenhand fort. »Doch Himaggery ist für ihre Künste unempfänglich, und das treibt sie fast zum Wahnsinn. Nun, wir werden bald nach ihr eintreffen und sie ohne Zweifel wieder mitnehmen dürfen. Sie wird außer sich sein vor Zorn.«
»Was kümmert dich das?« wollte Yarrel wissen. »Ist sie
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