Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Titel: Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
Vom Netzwerk:
dein Herzblatt?«
    »Nein, meine Halbschwester. Wir haben denselben Vater, aber sie hat eine andere Mutter als Borold und ich. Ich bin sechs Jahre älter.«
    »Warum hat man Euch weggeschickt?«
    »Weil Dazzle Schwierigkeiten aufrührt wie ein Koch die Suppe. Du nanntest sie Sprecherin der Götter, aber sie ist keine Priesterin. Sie ist eine Hexe, unberechenbar wie der Sturmwind.«
    »Wo liegt diese Leuchtende Domäne?« fragte Chance. »Ich finde sie auf der Karte nicht, obwohl sie doch recht groß sein dürfte.«
    Sie half ihm suchen, doch auf der Karte war nicht das geringste verzeichnet. Chance blähte anklagend die Wangen auf. »Man kann keinem mehr trauen, soweit ist’s inzwischen. Du bezahlst ehrlich, mit Gold, mit Heilen oder mit Späßen, falls du ein Clown bist, und wirst doch hinten und vorn betrogen. Diese Karte sollte vollständig sein, aber schaut sie euch an – nichts als ein alter Wisch, den man abgestaubt und als neu verkauft hat.« Niedergeschlagen faltete er die Karte zusammen, wobei er mit der schwieligen Hand über das Pergament strich. Ich konnte mir vorstellen, wie er sich fühlte. Es war ein göttliches Gefühl, die Karten auszubreiten und vorsichtig mit dem Finger die eigene Route zu verfolgen, die Linie der Hügel entlangzufahren, sich den Weg vorzustellen, die Namen und die Beschaffenheit des Landes zu lernen. Es war weniger schön, wenn man wußte, daß die Karten logen. Dann war es nur Schein, aber kein Wahres Spiel.
    In dieser Nacht lag ich wach, von einem strahlendhellen Mond geblendet, während die anderen schliefen, und holte die kleinen Spielfiguren hervor, die ich gefunden hatte. Zum ersten Mal fiel mir auf, daß sie nicht den Figuren glichen, mit denen ich als Kind gespielt hatte. Die größte der weißen Figuren war eine Königin, doch es war kein König dabei, sondern ein weißer Heiler, außerdem zwei Seher, Waffenträger und Schildwächter, doch keine Kirchenmänner. Der Nekromant war der größte der schwarzen Figuren, doch der Zauberer war beinahe genauso groß, danach kamen zwei Tragamore, Portierer und Dämonen. Was die ganz winzigen, im Mondlicht geduckt und kraus aussehenden Figuren darstellen sollten, konnte ich nicht feststellen. Im Morgengrauen betrachtete ich sie noch einmal genauer. Sie waren tatsächlich geduckt, Gestaltwandler, alle von der gleichen Art, aber verschieden im einzelnen. Jede Figur übte die gleiche Faszination auf mich aus wie beim ersten Mal, als ich sie in der Hand gehalten hatte. Zögernd packte ich sie wieder weg, umwickelte jede Figur mit einem Fetzen Stoff und versteckte sie unter meinen Sachen.
    Nach Süden reisen, Sonne und Regen, Wald und Wiesen, Seidenhands Geplapper, Yarrels Schweigen, die trockenen Kommentare von Chance über den Zustand der Welt. Kein Frost, keine Bedrohung. Seidenhand erzählte, daß Himaggery einen großen Teil des Landes um den See Yost herum in Besitz genommen und Tausende von Spielern um sich versammelt habe. Chance lachte, aber sie behauptete, daß es stimme. Wie sie alle genug Kräfte versammeln konnten, um zu existieren, erklärte Seidenhand nicht. Wir fragten nicht weiter, sondern hielten es für ein aufgeblasenes Märchen. Bienengesumm, sanfter Windhauch. Doch dann plötzlich, als wir einen felsigen Gebirgskamm hochkletterten, traf uns ohne Vorwarnung eine kalte, winterliche Bö von oben. Wir retteten uns unter einen Felsvorsprung, unter dem wir hervoräugten wie Dachse.
    »Drachen«, flüsterte Yarrel. Dann sah ich ihn auch schon über das Tal gleiten, die großen Flügel gespannt, mit pfeilartig gestrecktem Hals, den Schwanz gerade wie ein Speer. Feuer wallte um seine Kiefer. Ich bemerkte als erster von uns den anderen Drachen weiter oben, der aus der Sonne herabtauchte. So etwas hatte ich noch nie gesehen. »Eisdrache«, zischte jemand. Es wurde kälter. Wir kauerten uns zusammen, holten aus dem Gepäck Kleidung und Decken, in die wir uns wickelten, um die Körperwärme zu halten. Keiner der beiden Spieler wußte, daß wir in der Nähe waren. Es hätte sie auch nicht gekümmert. Sie würden unsere Hitze genauso aufsaugen wie die Wärme aus den sonndurchglühten Felsen. Uns blieb nichts anderes übrig, als im Schutz des Felsvorsprungs zu warten und zu beten, daß sie weiterfliegen sollten, ehe es für uns zu kalt wurde.
    Während ich dalag, dachte ich an die unzähligen Bauern – und geringeren Spieler –, die so gestorben waren, hilflos unter Steinen oder Bäumen oder in ihren Häusern liegend, während

Weitere Kostenlose Bücher