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Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Titel: Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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sagte er: »Also von einem Ort, den ich selbst wegen jener, die ich dorthin verbannt hatte, nicht aufsuchen würde. Die Figuren sind demnach nicht für mich bestimmt, und es ist besser, ich mache mir keine weiteren Gedanken darüber.
    O Junge, ich hätte ohne Zögern die Leuchtende Domäne für die Möglichkeit eingetauscht, diese Figuren selbst finden zu dürfen. Wie dem auch sei – sie fielen nicht in meine Hand. Zum Verschenken sind sie nicht bestimmt. Ich darf dir nicht sagen, was sie sind – möglicherweise weiß ich es selbst nicht ganz genau. Ich darf sie nicht von dir in Empfang nehmen. Nimm sie, steck sie unter deine Kleidung, bewahr sie sicher auf, erzähl keinem etwas davon. Ich werde mich auch ohne das Geschenk mit Freude an dich erinnern.«
    Ich wollte ihn fragen, ihn inständig bitten, mir mehr zu erzählen, irgend etwas zu sagen, aber sein Gesichtsausdruck verbot es mir. Am nächsten Morgen verließen wir die Leuchtende Domäne, und erst da fiel mir auf, wie seltsam dieser Ort war. Kein einziges Spiel hatte während meines Aufenthaltes stattgefunden. Kein einziger Knochenhaufen war mir zu Gesicht gekommen. Ich hatte keine Ahnung, welches Talent der Zauberer sein eigen nannte. ›Seltsam sind die Talente eines Zauberers‹, sagt man, aber seine waren nicht einfach seltsam, sie waren unentdeckbar. Später natürlich wunderte ich mich, durch welches Talent er imstande war, Dazzle so zu erblicken, wie sie wirklich war. Später natürlich fragte ich mich, welches Talent mich befähigt hatte, durch seine Augen sehen zu können.

 
4
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Die Straße nach Evenor
     
    Noch bevor wir die Leuchtende Domäne verließen, hielt Dazzle es für angebracht, eine unerquickliche Szene zu machen, in der sie Seidenhand aller erdenklichen Schlechtigkeiten beschuldigte: Himaggerys Liebchen zu sein oder seine verbündete Dienerin, Intrigen gegen Borold und Dazzle zu spinnen, neidisch zu sein, vor jemandem davonzulaufen, mit dem sich zu messen sie Angst habe, weil ihre eigenen Kräfte zu läppisch und schwach seien – lauter kindische, böse, ätzende Worte. Weder Dazzle noch Borold erschienen, um uns Lebewohl zu sagen, aber Himaggery kam. Seidenhand sah erschöpft und in sich gekehrt aus, sie wirkte um Jahre älter, als sie wirklich war. Sie biß sich nur auf die Lippen, als Himaggery ihr sagte, sie solle sich keine weiteren Gedanken machen, er werde sich schon um Dazzle kümmern. So ritten wir besudelt und von Seidenhands Traurigkeit umgeben fort. Ich konnte ihren Schmerz fühlen. Die anderen konnten ihn nur zu gut sehen.
    Genauso wie ich Seidenhands Schmerz fühlte, so fühlte ich Yarrels Freude. Wir ritten auf großen roten Pferden aus Himaggerys Stall, und Yarrel strahlte, als hätte er sie selbst gezeugt. Was mich betraf, so bat mich Seidenhand, die Bandagen abzunehmen, und während wir dahinritten, hielt sie meine Hand und hieß mich, mich mir unversehrt vorzustellen. Eine tiefe Wunde wollte nicht heilen, eine aufgeworfene Stelle an meiner Augenbraue, und Seidenhand meinte, daß ich sie unbewußt als Erinnerung behalten wollte. Sicher, ich hatte nicht vor, all das zu vergessen, was in der Schulstadt passiert war.
    Sie hieß mich an Tossa zu denken und von ihr zu erzählen, bis diese Verletzung ebenfalls heilte. Ich begriff, daß es keine Liebe gewesen war, was ich gefühlt hatte, sondern etwas, das viel tiefer saß, eine Art besonderer Faszination, hinter der sich ein Traum verbarg und dahinter eine Person, die diesen Traum verursacht hatte. Seidenhand ließ mich von meinen frühesten Erinnerungen sprechen, von der Zeit vor Mertynhaus (obwohl ich bis zu diesem Augenblick gar nicht gewußt hatte, daß ich Erinnerungen an die Zeit davor besaß), und ich fand Erinnerungen – Gerüche, Gefühle, die Bewegung graziöser Arme in der Sonne, Licht auf einer herabfallenden Kaskade weizengelben Haares. Demnach hatte mir Tossa mehr bedeutet, als ich geahnt hatte, und gleichzeitig weniger. Selbst als ich ihren Verlust betrauerte, betrauerte ich gleichzeitig die Tatsache, daß ich nicht wußte, wer die andere Person war, die ich vor meinem Aufenthalt in Mertynhaus gekannt hatte. Ich konnte nicht älter als zwei oder drei Jahre gewesen sein. Ich bemühte mich verzweifelt, fand aber nur Bilder ohne Worte. Es war eine unerklärbare Vision, die Tossa erzeugt hatte, eine namenlose Vergangenheit.
    Neben Heilen betätigte Seidenhand sich auch noch als Lehrerin. Fest überzeugt, daß Yarrel und ich viel zu lange ohne Studium geblieben

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