Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug
waren, hämmerte sie uns, während wir ritten, den Index ein, tagein, tagaus. Es war zumindest eine Beschäftigung, um die Zeit totzuschlagen, also gehorchten wir.
»Seher«, sagte sie zum Beispiel. »Sagt mir den Index für Seher.«
Gehorsam fing ich an: »Graue Gewänder, Maske mit grauer Gaze, mit aufgemalten Falterflügeln, den Kopf unter einer Kapuze. Beim Ziehen kann der Seher die Zukunft oder einen entfernten Ort nahe bringen. Seine Domäne ist klein, nur ein paar Schritte, und seine Kräfte sind nicht sehr beständig. Seher gehören zu den geringeren Beständigen. Sie stehen allein oder sind durch einen Schwur an ein größeres Spiel gebunden …« Und Seidenhand fragte nach der nächsten Figur.
»Der Dämon besitzt eine geflügelte Form … atmet Feuer … bei seinem Zug fliegt er durch eine weite Domäne. Drachen gehören zu den bedeutenden Vergänglichen … der Schildwächter ist rotgekleidet … das Gewand eines Dämons ist silbrig mit einem halben Helm … eines Tragamors schwarz, mit Fängen am Helm … ein Magier trägt Weiß und Rot und eine Stachelkrone …« Und so weiter und so fort. Einige der Namen, die Seidenhand nannte, hatte ich noch nie gehört. Was war ein Onoeiromancer, ein Kerinator, ein Hierophant? Was war ein Derwisch? Ich wußte es nicht. Seidenhand jedoch kannte die Kleidung, den Zug, die Domäne, die Kraft, die Einstufung.
»Als ich klein war«, sagte sie, »langweilte ich mich oft in diesem kleinen Dorf. Doch es gab einige Bücher, unter anderem einen Index. Weil ich nichts Besseres zu tun hatte, fing ich an, ihn auswendig zu lernen. Ich glaube, einige der Namen, die ich lernte, sind ziemlich selten. Einige der Figuren habe ich mein Lebtag noch nicht gesehen.« Trotzdem trieb sie uns weiter an.
»Die Kleidung eines Ranzelmanns ist spinnwebartig golden, mit Elsterhelm … ein Portierer ist blau, mit Reiherflügeln … ein Waffenträger schwarz und rostfarben, bewaffnet mit Speer und Bogen … ein König ist in echtes Gold gekleidet und trägt eine juwelenbesetzte Krone …«
»Gestaltwandler«, unterbrach sie mich. »Wie lautet der Index eines Gestaltwandlers?«
Ich antwortete, daß ich es nicht wüßte, daß es mir gleichgültig sei und daß ich viel zu hungrig sei, um noch einen einzigen Schritt weiterzugehen. Seidenhand stimmte einer Pause zu, hörte aber mit dem Lehren nicht auf, selbst als wir aßen.
»In seiner ursprünglichen Form ist der Gestaltwandlerin Fell gehüllt, sonst trägt er natürlich die Kleidung der Gestalt, die er angenommen hat. Die Domäne eines Ge s taltwandlers ist sehr klein, aber äußerst kompakt, und sie verschwindet rasch. Für den Wandel braucht man nicht viel Kraft und für seine Stabilisation fast überhaupt keine. Die Gestaltwandler werden zu den beständigsten Spielern gezählt, weil man sie so gut wie überhaupt nicht töten kann. Sie sind sehr selten und furchtbar, und einer der berühmtesten ist Malvin Vielgestalt.«
»Wieso Vielgestalt?« fragte Yarrel. »Kann sie gleichzeitig in mehr als eine Form schlüpfen?«
»Nein. Aber sie kann sich in sehr viele Formen verwandeln, während die meisten anderen Wandler nur eine oder zwei Gestalten annehmen können, höchstens drei. Mavin aber … man sagt, sie könne alles werden, was sie will, sogar ein anderer Spieler. Das ist natürlich unmöglich. Das kann niemand vollbringen.«
Nach dem Essen ritten wir weiter, für eine Zeitlang schweigend, um zu verdauen. Yarrel hielt uns ein paarmal an, um uns Spuren vor uns auf der Straße zu zeigen. »Reiter«, sagte er, »vielleicht vier oder fünf. Nicht sehr weit von uns entfernt.« Zum erstenmal dachte ich an den Pfandleiher, der nach Süden geritten war.
»Wie weit entfernt?« fragte ich. Ich beabsichtigte nicht, in die Nähe dieses Mannes zu kommen, und bereute plötzlich, daß ich Himaggery nicht gebeten hatte, ihn bei sich zu behalten oder unter Aufsicht zu seinem Schiff zurückzuschicken.
»Ungefähr einen Tagesritt. Wir hängen ihnen nicht dicht auf den Fersen, Peter. Meinst du, es könnte der Pfandleiher sein?«
»Ich denke, er hat irgendwie erfahren, wohin wir reisen.«
»Wir haben kein Geheimnis daraus gemacht.«
»Das hätten wir vielleicht besser getan.« Meine Dummheit und Einfalt beschämten mich. Wie hatte ich annehmen können, daß der Mann aufgeben würde? Unser ganzes Nachdenken wurde jedoch durch einen kalten Windstoß von oben unterbrochen. Seidenhand warf einen Blick über die Schulter, schrie »Afrit!« und ritt wie wild
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