Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug
sich hieben und dann jäh verschwanden, nur um eine Sekunde später hinter ihren eigenen Linien wieder aufzublitzen. Auf den Anhöhen riefen Dämone und Seher laute Anweisungen an die Tragamore und Waffenträger, während Magier zwischen den Reihen der Spieler hindurchgingen, um ihnen Kraft zu geben. Wandlerbestien 1 rannten zwischen den Reihen hindurch, rissen mit Fängen und Hauern Wunden oder stürzten auf gefiederten Schwingen aus der Luft herab, um mit ihren Krallen zu blenden.
Und auf jeder Seite, im Zentrum des Spiels, standen der König und die Prinzen und die anderen charismatischen Figuren, durch deren Betörung sich die Armeen versammelt hatten. Heiler, jeder mit einem Magier an der Seite, schritten zwischen den Verwundeten hindurch. Ich sah es so klar, als ob es gerade vor meinen Augen geschähe.
Und ich sah noch mehr. Am Rande des Schlachtfeldes, jenseits der Domäne, standen Bauern dicht aufgereiht. Sie standen mit Steinen in der Hand und Dreschflegeln und Heugabeln, so scharf wie Nadelspitzen. Und mir wurde im Traum klar – denn es war ein Traum –, was geschähe, wenn die Kriegsöfen erkaltet und die Magier ihrer Kraft entleert, die Waffenträger auf dem Boden, die Tragamore hilflos und die Portierer unfähig wären, sich von einer Stelle zur anderen zu blitzen. Was dann? Ich hörte das Grummeln der Bauern, sah, wie die Dreschflegel sich hoben, und spürte, wie das Schlachtfeld kalt wurde …
Und erwachte. Eine Zeitlang blieb der Traum so klar wie ein Fresko, die Farben leuchtend wie Edelsteine. Dann verblaßte er, wie es Träume immer tun, nur ein paar Erinnerungsfetzen blieben übrig. Wieso ich ihn immer noch so deutlich beschreiben kann? Weil ich ihn immer wieder träumte und immer wieder, von Zeit zu Zeit. Auf dem Trampelpfad nach Evenor träumte ich ihn nur kurze Zeit in der kalten Morgendämmerung und vergaß ihn danach. Doch während dieser Zeit war ich vor Angst in kalten Schweiß gebadet und glaubte, den stummen Zorn der Bauern und die Berührung der Heugabeln auf meinem Fleisch zu spüren.
5
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Windlow
Nirgends auf der Welt habe ich einen Ort gesehen, der so schön ist wie die Seen im Hochland von Tarnoch. Eine wilde Erhabenheit umgibt sie, die mich sofort überwältigte und für Stunden verstummen ließ, während wir uns abschüssiges Gelände hinunterquälten, im Rücken den Bergpaß, den wir am Mittag überquert hatten. Wenn ich sage, daß Seidenhand, die Schnatterente, ebenfalls schwieg, werdet ihr verstehen, daß hier nicht einfach nur die romantischen Gefühle eines Jungen entfacht wurden. Am Mittag wirkten die Seen wie Saphire auf grünem Samt, der Samt zerfranst von alabasterweißen Felsklippen, über denen sich Regenbogen spannten. Im Lauf des Nachmittags tränkten die immer länger werdenden Schatten das Grün mit dunklen Tönen, bis schließlich am Abend die ganze Gegend wie ein Diadem aus Licht und Dunkel unter der westlichen Sonne schimmerte, die Seen scharlachrot im Licht des Sonnenuntergangs.
Die Hohe Domäne erhob sich auf einer weißen Felsklippe über einem Katarakt, dessen wirbelndes Wasser sich in unaufhörlichem Strom in die darunter liegenden glänzenden Teiche ergoß. Wir erreichten den Burgweg bei Sternenlicht, die Tore der Brücke vor uns kauernd wie Fustigare, die massiven steinernen Pfeiler gleich Tatzen im Staub, während die Turmspitzen mit lampenerleuchteten Augen auf uns herabstarrten. Wir wurden erwartet. Jeder von uns spürte das Prickeln im Kopf, als ein Dämon darin herumstöberte, und jeder bemerkte, wie das Signalfeuer des Schildwächters aufblitzte, als wir um die letzte Biegung ritten. Ich ertappte mich bei der Hoffnung, daß sie meinen Hunger und Durst LESEN und gastfreundlich sein würden.
Ich hätte mich darum nicht zu sorgen brauchen. Statt einer offiziellen Begrüßung geleitete uns eine geschäftige Wirtschafterin in Räume, wo wir, sobald wir dazu bereit waren, mit Essen und heißem Badewasser versorgt wurden. »Der Hochkönig wird euch morgen empfangen«, sagte sie und verschwand mit unseren Stiefeln und Umhängen, um zu sehen, ob daran noch etwas zu retten war, denn sie waren böse mitgenommen vom Staub der Straße. Sie überließ uns leckerem, dampfendem Essen, gewaltigen Weinkrügen und der unsagbaren Wonne eines sauberen, weichen Bettes.
Dies alles geschah vermutlich vor allem zu dem Zweck, uns zur Ruhe kommen zu lassen, denn in der Nacht wurden wir mehr als einmal untersucht. Warum ich wachlag, während die anderen
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