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Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Titel: Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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Augenwinkel. Später, ja, sehr viel später sah ich sie immer noch aus dem rechten Augenwinkel und sagte zu mir selbst: Sieh mal, die Sonne steht ja still. Sie stand aber nicht still. Genausowenig wie ich es getan hatte. Der Weg hatte sich um sich selbst gedreht, die Sonne den Scheitelpunkt ihrer Bahn längst überschritten und sich wieder abwärtsgewandt, und ich spielte immer noch das Waffenträgerspiel in meinem Kopf. Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, was passiert war. Inzwischen waren natürlich meine Gedanken die einzigen, die die Verfolger nun schon sehr lange Zeit hatten LESEN können.
    Ich wußte, daß es vielleicht zu spät war, aber es konnte nicht schaden, sich der Wirkung des Krauts anzuvertrauen, und Ruhe konnte ebensowenig schaden. Wenn irgend jemand in der letzten Stunde etwas GELESEN hatte, so hatte er nur noch meine Gedanken gefunden. Vielleicht hatte ich dadurch die Verfolger von den anderen weggelockt. Ich versuchte mich davon zu überzeugen, wie vorteilhaft das wäre. Das weiße Pferd und ich kletterten den Abhang hoch, um uns zwischen den Bäumen zu verstecken, wo ich mich unter einen wohlriechenden Nadelbaum setzte und Windlows Kraut kaute. Ich konzentrierte mich auf die Gräser um mich herum, die sich sanft in Sonne und Luft wiegten. Nach einer kurzen Zeit schien es mir, als sänke die Welt hinweg, und ich war nicht länger ich selbst. Ich war Gras. Ich war vielleicht auch Luft, aber hauptsächlich Gras, das vom Wind bewegt wurde, herrlich grün und biegsam in der Sonne. So verging die Zeit, und mich gab es nicht mehr.
    Gerade als ich zum Gras am Hang wurde, kamen sie in die Schlucht geritten, um mich zu suchen. Meine Gefährten waren um die Mittagszeit verschwunden, hatten sich in Nichts aufgelöst. Ich nicht. Der Dämon hatte meine Spur aufgenommen wie ein Fustigar die eines bunwits. Sie kamen die Schlucht herunter und wären an mir vorbei in Richtung des weiten Tales geritten, ohne mich zu sehen, wie wir es geplant hatten. Wäre da nicht das kleine weiße Pferd gewesen …
    An dem Platz, wo ich mich befand – was immer ich gerade darstellte –, war das Geräusch des kleinen Pferdes nicht mehr als ein Vogelruf, der Laut eines Tieres, ein kleines ›schnaub, schnaub, hier bin ich, alleingelassen und verloren am Hang …‹ Das Geräusch, das darauf folgte, war mehr als ein Vogelruf: Schreie, Männerstimmen, die etwas riefen, ein Pfeifen, das schrill widerhallte. Tief in mir zog sich etwas zusammen, und ich war wieder ich selbst, saß auf dem Abhang, während Männer zu mir hochkletterten. Das kleine weiße Pferd hatte sich zweifellos einsam gefühlt, gedacht, es wäre verlassen worden, und hatte zu den Rossen der Männer hinübergerufen, die unten vorbeiritten. In diesem Augenblick kam es mir vor, als wisse ein Teil ganz tief in mir einen Fluchtweg, habe ihn aber vergessen. Ich sehnte mich danach, wieder Gras zu werden, und schalt mich dann selbst für diese dumme Sehnsucht. Gleichgültig, wie überzeugt mein Geist auch wäre, die Männer sähen mich als das, was ich wirklich war. Das alles stürzte in Bruchteilen von Sekunden auf mich ein, ohne daß der seltsame Gedanke an eine Fluchtmöglichkeit in Reichweite schwand, sofern ich mich bloß entsinnen könnte …
    Dann umringten sie mich. Dazzle war auch dabei, Borold, der grimmig lächelte, und der hagere, schurkenhafte Pfandleiher, außerdem ein Dämon. Jetzt erkannte ich ihn. Ich hatte ihn zuletzt während der Nacht des Festivals in der Schulstadt gesehen – Mandors Freund aus Bannerwell. Ich fühlte keine Angst, sondern war nur verwirrt. Was konnte die Versammlung mit mir wollen? Trotz aller Versuche Yarrels war ich im Grunde nicht überzeugt davon, das wahre Ziel ihrer Suche zu sein; ich konnte es einfach nicht sein, würde es auch nicht sein.
    Ein Teil des Rätsels entwirrte sich sofort. Der wütende Ausdruck auf Dazzles Gesicht sagte mir, daß ich nicht ihre Jagdbeute gewesen war. Sie war außer sich vor Wut, weil Seidenhand nicht bei mir war, und verlangte zu wissen, wo sie steckte. Fort, sagten meine Gedanken, weg, das Tal hinunter, zu Himaggery in Sicherheit. Jedenfalls dachte ich das, und so glaubten sie mir. Warum sollten sie es auch nicht glauben? Ich glaubte es ja auch. Jemand im Reiterzug war auf Windlows Fährte gesetzt worden. Ich legte den Kopf in die Hände und dankte den Göttern des Spiels, daß Seidenhand in Sicherheit war. Wenn man sie mit Windlow zusammen auf der Flucht gefunden hätte, wäre dies Beweis

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