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Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Titel: Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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hochzusteigen. Ich lief zu der offenstehenden Zelle, ging hinein, zwirbelte die dünne Matratze so zusammen, daß es aussah, als liege jemand unter der Decke, schob Peters Schuhe so unter die Decke, daß ihre Spitzen herausschauten, verließ dann die Zelle wieder und schloß hinter mir ab. Am Fuß der Treppe traf ich mit dem Wächter zusammen, dem ich den Schlüssel überreichte und eine schmutzige Geschichte erzählte, die in Grimpts Erinnerungen darauf wartete, ausgegraben zu werden. Ich trank das Bier, schlug dem Mann kräftig auf den Rücken und stieg unmelodisch pfeifend die Treppe hoch.
    Oben wartete Huld auf mich. Verbeugen, sagten Grimpts Gedanken, also verbeugte ich mich.
    »Und?« fragte er.
    Ich zuckte mit den Schultern. »Er sagte nichts … außer das, was alle sagen«, feixte ich. Huld zog eine Grimasse des Abscheus, die ich scheinbar nicht verstand. »Hab ihn zurückgebracht. Soll ich ihn mir heut noch mal vornehmen?« Die Frage kam von selbst, ohne daß ich nachzudenken brauchte.
    »Nein.« Huld schauderte. »Nein.« Er drehte sich um und ließ mich stehen, der Abscheu auf seinem Gesicht war so stark, als röche er etwas Schlechtes. Ich roch es ebenfalls und merkte, daß es der Geruch der Kleidung eines Ausplauderers war – der Geruch nach getrocknetem Blut, Rauch und Schweiß. Grimpt nannte eine schmutzige Behausung sein eigen, einen Verhau mit einer Tür. Nachdem ich eingetreten war und die Tür hinter mir zugeschlossen hatte, verbrachte ich eine Zeitlang mit Nachdenken.
    Wenn man entdeckte, daß Peter verschwunden war, würde man als allererstes die Wache befragen. Der Mann wußte nichts, aber er würde die Aufmerksamkeit auf Grimpt lenken. Daraufhin würde man Grimpt befragen. Meine oberflächlichen Gedanken waren zwar die Grimpts, aber sie enthielten frische Erinnerungen, die einer Prüfung nicht standhalten würden. Nein, ich konnte nicht in Grimpts Gestalt bleiben. Ich mußte ein anderer werden, eine andere Gestalt annehmen – die von jemand Unwichtigem, den niemand bemerkte. Ich verließ den schmutzigen kleinen Verschlag und schlenderte über den Burghof, der erfüllt war von dem Lärm der Männer, die die großen Kriegsöfen über die Pflastersteine zogen, dem Quietschen und Klirren der Hämmer und Räder, dem Rumpeln der Pferdefuhrwerke, die über die Brücke fuhren, um Holz für die Öfen zu bringen. Die Brücke war heruntergelassen, das Tor hochgezogen, damit die Fuhrwerke ein- und ausfahren konnten, aber jeder Wagen führte eine Wache mit sich, und an der Brücke waren noch weitere Wachen postiert. Es wäre nicht einfach, die Burg zu verlassen, soviel war klar. Ein Ausplauderer hätte auch keinen Grund, in den Wald zu gehen; jeder Versuch in dieser Richtung mußte Verdacht erregen.
    Die unbeschäftigten Spieler befanden sich alle in Alarmbereitschaft und behielten den hohen Flußdeich des Banners im Osten im Auge. Man hatte ihnen gesagt, daß eine Herausforderung oder ein Angriff zu erwarten sei, und jüngste Warnungen seitens ihrer Vorgesetzten hatten sie in erhöhte Spannung versetzt. Ein Mann beschäftigte sich außerordentlich stark mit den Schmerzen, die ihm sein wundgelaufener Fuß bereitete. Hinter einem Gartentor dachte ein Gärtner verärgert darüber nach, warum die Hilfe, die er morgens angefordert hatte, nicht eingetroffen war. Das kam mir alles so selbstverständlich vor, so natürlich, daß ich eine Zeitlang brauchte, um zu begreifen, was geschah. Grimpt konnte LESEN. Ich versuchte tiefer in den Gedanken der Wächter und des Gärtners zu stöbern, aber es gelang mir nicht. Offenbar war das Talent nur klein, und Grimpt konnte bloß oberflächliche Gedanken auffangen. Reicht auch für einen Ausplauderer, dachte ich. Die Gedanken seiner Opfer waren bestimmt meistens nur oberflächlich gewesen. Welches Talent konnte ein Ausplauderer noch besitzen? Die Frage beantwortete sich von selbst, als ein Tor gegen meine Hand schwang. Ja, natürlich. Er mußte in der Lage sein, Dinge zu BEWEGEN, wenn auch nur leicht. Ich versuchte, einen Pflasterstein zu bewegen, empfand aber nur einen dumpfen Schmerz. Nein, auch dieses Talent war nur klein. Aber es war ein Talent, das mir nützlich sein konnte.
    Der Gärtner war ein Bauer, er besaß kein Talent. Er war zwar ein bißchen ärgerlich, aber ohne Mißtrauen. Gut, er sollte die Hilfe bekommen, die ihm versprochen worden war. Er sollte seinen Jungen haben. An der Stelle, wo die Latrine der Diener und Stallknechte über den Burggraben ragte,

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