Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug
der Prinz kam, wunderte ich mich aufs neue, daß die Wachen Mandor nicht so wahrnahmen, wie ich es tat. Ich wußte aus ihren Gesprächen, daß außer Huld niemand in Bannerwell ihn so erblickte wie ich. Für sie alle war er nach wie vor der strahlende Prinz, der elegante Lord. Einer der Wachen hatte mir gesagt, daß er mich beneide, mich, weil überall erzählt wurde, daß der Prinz mich geliebt habe.
»Er weiß von nichts«, erklärte Huld Mandor zum sicher hundertsten Male. »Möglicherweise war ein Portierer hier, aber weder kennt ihn Peter, noch weiß er, woher er gekommen ist.«
Mandor stieß ein unartikuliertes Schreien aus, das Huld ohne Mühe zu verstehen schien. »Nein, Mandor, ich täusche mich nicht. Falls jemand nach dem Jungen sucht, tut er es ohne Peters Wissen. Wie sollte er es auch wissen können? Wie lange hältst du ihn hier schon gefangen? Wer sollte über ihn irgend etwas in Kenntnis haben? Du denkst doch sicher nicht, daß er plötzlich Seher geworden ist. Wir wollen uns lieber weiter auf ein Großes Spiel vorbereiten! Ich bezweifle nicht, daß wir herausgefordert werden, und zwar bald, aber laß den Jungen in Frieden!«
Ein weiterer Schwall stammelnder Worte wurde ausgestoßen. Mandors Versuche zu sprechen hörten sich für mich an wie kämpfende Baumkatzen, nur Jaulen und Zischen. »Es ist möglich, daß Mertyn nach ihm sucht«, erwiderte Huld, »falls wir dieser Hexe Glauben schenken wollen, die wir von der Hohen Domäne mitgebracht haben. Das ist alles möglich. Gewiß ist aber, wie unsere Seher uns sagen, daß irgend jemand ein Großes Spiel begonnen hat und Bannerwell gerade hineingezogen wird. Und was jetzt? Befiehl mir. Ich bin dein thalan und Diener.«
»Hol Ausplauderer«, befahl Mandor. Hin und wieder waren seine Worte deutlich zu verstehen, und dies war ein solcher Augenblick. »Hol Ausplauderer.«
»Er kann dir nichts sagen, was er selbst nicht weiß!« rief Huld erregt. »Auch nicht unter der Folter.«
»Awer wandeln«, sagte Mandor und schritt von dannen, die hallenden Korridore entlang. »Wandeln oder sterwen.«
Huld schwieg und schluckte hart. Er bleckte die Zähne zu einem Knurren, das aber nicht mir galt. Schließlich sagte er: »Das ist unehrenhaft, Peter. Ich würde es nicht befehlen, wenn ich nicht selbst den Befehl dazu bekommen hätte. Er befiehlt, dich foltern zu lassen in der nichtigen Hoffnung, daß dein Talent dadurch zum Vorschein kommt. Falls überhaupt eines vorhanden ist … Manche behaupten, Talente erscheinen, wenn sie benötigt werden, uns zu retten. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Verzeih bitte …«
Und er verließ mich. Nichtige Hoffnung, dachte ich, o Huld, der du keine Ehre besitzt. Nichtige Hoffnung, falls du tust, was man von dir verlangt, ohne danach zu fragen, worum es sich dabei handelt. Meine Gedanken wirbelten durcheinander, entwarfen Hunderte von Plänen und verwarfen sie wieder. Was würde ich tun? Was würde ich sagen? Ich wollte nicht der Folter unterworfen werden, weil ich wußte, was das bedeutete. Von meiner steinernen Zelle aus hatte ich viel gesehen, mehr als nötig, denn die Folterkammern lagen tiefer unten, und Männer waren vor meinen Augen dorthin geschleift und wieder zurückgebracht worden. Ich dachte an Mertyn, an Himaggery, fragte mich, ob sie mir Hilfe schicken, und wußte, daß diese zu spät kommen würde. Ich dachte an Chance und Yarrel, wünschte mir, sie würden kommen, um mich zu trösten. Ich dachte an den alten Windlow, Windlow und seine Vögel und Kräuter … und erinnerte mich. Windlows Kräuter. Es steckten noch Blätter des Krauts in meiner Tasche, das Windlow uns damals in der Schlucht gegeben hatte, damit wir unsere Körper verlassen und zu Gras werden konnten.
Ich zerrte den Fetzen Stoff hervor, hörte Männer herbeikommen, klaubte mit zitternden Händen die Blätter heraus und stopfte sie mir in den Mund. Ein paar steckte ich in die Tasche zurück. Wenn ich einen klaren Kopf behielte und ein paar Minuten Ruhe hätte, gelänge es mir vielleicht, mich so weit von meinem Körper zu entfernen, daß ich keinen Schmerz verspürte. Fußtritte näherten sich. Der Ausplauderer spähte durch die Gitterstäbe, ein haariger Mann mit nackten Armen bis zu den Schultern, einer schwarzen Kapuze über den Augen, einem Lederwams und hohen Stiefeln.
»Komm heraus!« befahl er, und ich folgte ihm. Folgte ihm wie ein Lamm. Wir gingen an der Wache vorbei. Wir waren allein. Er an meiner Seite, das Gesicht verächtlich verzogen.
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