Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug
herauszufordern. Das waren die letzten Fuhrwerke, die mit Brennstoff für die Öfen über die Brücke rollten …«
Wir hörten, wie Mandor den Wachen Befehle zubrüllte. Die Türen schlossen sich krachend, geschäftige Schritte hasteten umher. Wir wichen in die dunklen Schatten des Ganges zurück. »Ich habe seit Tagen nicht geschlafen«, sagte Seidenhand. »Wenn wir schon nicht fliehen können, laß uns doch wenigstens ein Versteck zum Schlafen suchen. Ich bin nicht mehr imstande, mich länger von dieser Müdigkeit zu heilen, außerdem bin ich hungrig …«
Ich verspürte ebenfalls Hunger, aber wir hatten nichts zum Essen oder zum Trinken bei uns. Schlafen würden wir jedoch können. Wir gingen weiter, durch eckige Räumen mit hochgewölbten Decken in dämmrige Hallen voller Fledermäuse, wo das Licht der Morgendämmerung durch vergitterte Öffnungen zwanzig Mann hoch über uns fiel, und von dort aus in noch dunklere Gänge, vorbei an Grüften, auf denen das Wappen und die Geschichte derer gemeißelt waren, die hier ruhten. Endlich entdeckten wir einen hochgelegenen trockenen Felsvorsprung, der zum überwiegenden Teil hinter herabhängenden Felsnasen lag, von denen in einer unaufhörlichen trauernden Kadenz Wasser zu Boden tröpfelte. Hier waren wir von allen Seiten von Fels umgeben, geschützt durch Schatten, geschützt durch Schlaf. Wir teilten uns das letzte Blatt von Windlows Kraut und lenkten unsere Gedanken auf Friedliches. Verloren in der Finsternis, an einem Ort der Gräber, schliefen wir ein.
12
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Mavin
Ein klickendes Geräusch weckte mich, ein leiser, geradezu anheimelnder Ton in der Weite der Felsenhöhle. Er erinnerte mich an die Todeskäfer, die wir in den langen Nächten in Mertynhaus oft gehört hatten, die sich emsig im Gebälk zu schaffen machten und die Lebenszeit des Turmes, klick, klick, klick, maßen wie ein Uhrwerk. Noch im Halbschlaf spähte ich über die Kante des Felsvorsprungs, auf dem wir lagen. Ein feiner Dunst trieb durch die Höhle und tauchte sie und die Frau in diffuses Licht, die dort unten auf einem hölzernen großen Stuhl saß und strickte.
Ich hatte sie nicht kommen hören. Sie war auch nicht dagewesen, als wir uns vor ein paar Stunden zum Schlafen niedergelegt hatten. Einen Augenblick lang glaubte ich zu träumen und zwickte mich so fest, daß mir ein unwillkürlicher, halberstickter Aufschrei entfuhr. Seidenhand hörte ihn, wurde wach und fuhr hoch. »Was ist denn?« fragte sie. »Was ist los?« Dann vernahm sie ebenfalls das klickende Geräusch und spähte nach der entfernten Gestalt. Ihr Gesicht zeigte die gleiche Verständnislosigkeit, wie ich sie empfand.
Bevor ich ihr antworten konnte – falls mir überhaupt eine Antwort eingefallen wäre –, blickte die Frau hoch und rief: »Ihr könnt ruhig herunterkommen. Das macht unser Gespräch bestimmt gemütlicher.« Dann widmete sie sich wieder ihrer Arbeit, die Nadeln in ihrer Hand blitzten hart und metallisch. Ich starrte in die Richtung, aus der wir in dieses Gewölbe gekommen waren. Nichts. Totenstille, keine Trommeln, Trompeten oder Fackeln. Schließlich rollte ich mich von dem Felsvorsprung hinunter und half Seidenhand, auf den buckligen Boden der Höhle hinabzuklettern. Das Klicken wurde inzwischen von einem knarrenden Geräusch begleitet, das der Stuhl verursachte, auf dem die Frau saß und mit dem sie vor- und zurückschaukelte. Einst, vor langer, langer Zeit hatte ich einen solchen Stuhl gesehen. Ich konnte mich nicht erinnern, wann. Das Garn, das sie verwendete, schäumte zwischen ihren Händen hervor, als besäße es ein Eigenleben, und ergoß sich in flockigen Kaskaden von den Stricknadeln über die Knie auf den Höhlenboden. Die Geschwindigkeit, mit der die Frau strickte, steigerte sich zu einem klappernden Wirbel, der Stuhl knarrte heftig wie ein keuchender Blasebalg, und plötzlich hörte sie auf zu stricken. Sie schleuderte ihr Werk auf den Boden, wo es wie ein Berg wolligen Schnees vor ihr liegenblieb.
»Was habt Ihr da gestrickt?« fragte Seidenhand zögernd. Ich wußte, daß ihr keine geeignete Frage einfiel. Mir ging es genauso. Die Frau musterte uns scharf aus großen gelben Augen, die eher zu einem Vogel paßten als zu einem Menschen.
»Ich habe ein Morfus gestrickt«, erwiderte sie mit tiefer Stimme. »Bald wird es aufstehen und seiner Arbeit nachgehen, doch jetzt muß es sich erst einmal von der Anstrengung erholen, erschaffen worden zu sein.« Das aufgehäufte Material zu ihren
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