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Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Titel: Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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sagte ich steif. »Durch Zufall.«
    »Dann wachsen Bäume neuerdings auch durch Zufall. Bäume wachsen aber eigentlich deshalb, weil ihre Natur es so von ihnen verlangt. Die Spielfiguren von Barish sind so beschaffen, daß sie ebenfalls eine eigene Natur besitzen – nämlich lange Zeit verborgen zu bleiben, bis sie schließlich in die Hände von jemandem gelangen, der sie benutzen kann.« Eine lange Pause entstand, bis die Frau in leicht verändertem Tonfall fortfuhr: »Nein. Das stimmt nicht ganz. Bis sie in die Hände von jemandem fallen, der sie richtig zu benutzen weiß. Heikel, heikel … Ein bißchen Verwirrung und Angst sind unter diesen Umständen vielleicht verzeihbar.« Die verbrauchte Wolle floß von ihrem Schoß herunter auf den Boden und blieb dort wabbernd liegen. Dann stemmte sich die gestrickte Kreatur in die Höhe und torkelte der ersten hinterher, die sich immer noch die Wand hochkämpfte.
    Seidenhand hatte die Frau genau beobachtet, und nun setzte sie sich neben ihre Füße und legte ihr die Hand aufs Knie. Die Frau zuckte zusammen, faßte sich dann und lächelte. »Aha, Ihr wollt herausfinden, was vor sich geht, Heilerin. Bleibt meinem Kopf fern, dann möge der Rest von mir Euch als Spielwiese dienen. Bestimmt gibt es da das eine oder andere zu verbessern.«
    »Worum handelt es sich bei den Spielfiguren von Barish?« fragte ich. »Hört auf, mich zu verwirren. Ich glaube, daß Ihr das absichtlich tut, und es hilft mir nicht weiter. Sagt einfach die Wahrheit. Was bedeuten sie?«
    Die Frau erhob sich, unglaublich groß und dünn, wie eine Latte. Nein, dachte ich, eher wie ein Schwert, schmal, scharfkantig und biegsam. Sie lachte, als ob sie den Gedanken GELESEN hatte. »Vor langer Zeit«, intonierte sie in einem Singsang, »in einer Zeit, die von allen vergessen wurde außer von denen, die Bücher lesen, lebten zwei Zauberer mit Namen Barish und Vulpas. Du hast von ihnen bereits gehört? Ja, natürlich. Von diesem selbsternannten Historiker.« Sie lachte. Es klang beinahe freundlich, »Barish und Vulpas besaßen ein Talent, das selten ist. Sie nannten es WEISHEIT. Oder andere nannten es so. Die beiden schufen die Unveränderlichen, wie du wohl weißt, und sie begriffen die wahre Natur der Talente. Sie stellten eine Menge Dinge in Frage, die bis dahin, teils durch Konvention, teils durch Aberglaube, einfach befolgt worden waren. Diejenigen, die sich von Konventionen und Aberglauben leiten lassen, können es nicht ertragen, wenn gewisse Dinge ans Tageslicht gezerrt werden, und deshalb suchten sie nach Barish und Vulpas in der festen Absicht, die beiden zu töten.
    Etwas später verkündigten die Wächter, daß Barish und Vulpas tot seien. Heimlich feierte man viele Freudenfeste. Doch es gibt Bücher, die man heute noch lesen kann, falls man weiß, wo man sie findet, die von Barish und Vulpas geschrieben wurden, lange Zeit nachdem man sie für tot erklärt hatte. Haben die Wächter vielleicht gelogen? Wer kann das sagen? Es ist schließlich schon so lange her …«
    »Die Spielfiguren«, erinnerte ich energisch.
    »Barish behauptete«, fuhr die Frau fort, »daß das Muster eines Talents – nein, sogar eine ganze Persönlichkeit – in einen Gegenstand transportiert werden könne und daß man von diesem Gegenstand LESEN könne wie von einem Menschen, falls man die Fähigkeit dazu besitzt.«
    »Das wäre schiere Magie«, stellte Seidenhand fest.
    »Manche würden das so nennen«, erwiderte die Strickerin. »Andere behaupten das Gegenteil. Wie auch immer, die Bücher sagen, daß Barish seine These durch einen Satz Spielfiguren bewiesen habe. Daß elf Spielfiguren existieren, in denen das Talent unserer Vorfahren gespeichert ist. So steht es geschrieben.«
    »Warum?« keuchte ich, den Kopf voller Gedanken, die wild durcheinanderschossen. »Warum tat er das? Es stimmt, Seidenhand. Ich weiß, daß es stimmt. Es ist, als LESE man eine Person. Ich fühlte Dorn, hörte ihn seufzen. Er hat die Geister erweckt, nicht ich. Wie fürchterlich und wunderbar. Aber warum tat Barish das?« Ich stotterte wirr vor mich hin, während die Strickerin mich aus ihren gelben Augen musterte und die Morfusse die Felswand immer weiter hochkletterten.
    »Wenn Barish imstande war, Talente auf diese Art zu speichern, dann muß er in der Lage gewesen sein, sie selbst wahrzunehmen. In diesem Fall muß er auch das Talent von Sorah, der Seherin, wahrgenommen haben. Vielleicht sah er durch sie irgend etwas in der Zukunft. Wer kann das

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