Das Wahre Spiel 02 - Der Nekromant
Ebenso wahrscheinlich Bauern. Ich habe sie dutzendweise dort hineingehen sehen, wie betäubte Schafe. In die murmelnden Münder hinein, auf den kleinen Karren sitzend. Viele von uns wissen das, wissen es schon lange, aber wir haben uns nicht zusammengeschlossen … Nein. Wir sind einfach zu ängstlich gewesen, um dort hineinzugehen.«
»Du? Ängstlich?« Ich bezweifelte das.
»Verwechsle nicht meine Überheblichkeit mit Mut, mein Sohn. Es stimmt, daß ich für das berühmt bin, was ich tun kann. Doch ich fürchte mich vor dem Unbekannten, wie die meisten anderen Menschen auch, Spieler und Bauern gleichermaßen. Meine Schwestern und ich bekamen als Kinder erzählt, daß im Westen Ungeheuer hausen, Nachtkreaturen von dort kommen würden, um uns zu holen, wenn wir unartig waren, daß alle schlimmen Träume aus dem Westen kommen. Als ich älter wurde, stellte ich fest, daß etwas Wahres darin steckt. Natürlich fürchte ich mich davor. Wir sollten uns beide davor fürchten, aber es gibt zumindest einen Ort, der noch schlimmer ist als das hier!«
»Wir gehen also?«
»Auf jeden Fall.«
Swolwys und Dolwys waren nicht so überzeugt. Sie diskutierten mit ihr hin und her, bis weit in die Nacht hinein, die ganze Zeit, während Izia schlief. Ich schaute ab und zu nach, ob sie noch zugedeckt war, und betrachtete ihre Beine. Allmählich verschwand das Grau, und stellenweise sah man glatte Haut hinter ihren Knien und entlang der Fußgelenke. In meinem Herzen dankte ich Dealpas, rief sie aber nicht mehr herbei. Ich erinnerte mich an den Reim, den die Kinder beim Seilspringen unter dem Fenster von Mertynhaus sangen – wie in jedem Dorf der Welt. »Gepflücktes Blatt, Jungfrau voll Schmerz, Dealpas, gebrochenes Herz.« Es gab für jeden der elf einen Vers, alle den Kindern so vertraut, daß wir nicht einmal darüber nachgedacht hatten, ob sie etwas Besonderes oder Religiöses seien. Mir fielen andere ein. »Herrin des Geistes, mondfahl, Spinnwebdidir, Schattenstahl.« Das stimmte nur zu gut, ein unnachgiebiges Netz, gewebt aus Mondlicht und Schatten. »Holend, streckend, wandelbar, der Listigste ist Thandbar.« Ich hoffte, daß das auf uns zwei aus Thandbars Familie ebenso zutraf. Nach allem, was Mavin über den Fleck erzählt hatte, würden wir es sehr nötig haben, listig zu sein. Ich hatte auch Angst, aber ich zögerte nicht, außer daß ich Izias Haar streichelte und ihre Wange berührte. Da wußte ich, daß ich sie liebte, aber ich war mir nicht sicher, ob ich sie liebte, weil sie Yarrels Schwester war oder um ihrer selbst willen. Es war auch gleichgültig. Nach dem nächsten Morgen würde ich sie vielleicht nie wiedersehen.
Als sie erwachte, saß ich an ihrer Seite und hielt ihre Hände zwischen meinen Fingern, obwohl sie sich krümmte und versuchte, mich wegzustoßen. Ich hieß sie, ihre Beine zu betrachten, die Stellen, wo die Heilung begonnen hatte, zwang sie zuzuhören, als ich ihr erklärte, daß es heilte, heilte, daß all die Jahre mit Laggy Nicker Vergangenheit waren, vorbei, gewesen, für immer verschwunden. Sie schauderte und schluchzte, ließ aber wenigstens ihre Hände in meinen. Erst dann fragte ich: »Erinnerst du dich an eine Zeit vor Laggy Nicker? An deine Kindheit?«
»Ich erinnere mich an Pferde«, erwiderte sie.
Ich lachte innerlich. Oh, gewiß war das Yarrels Schwester.
»Erinnerst du dich an einen Jungen deines Alters? Einen Bruder?« Ich wollte seinen Namen aus ihrem Mund hören. Ich hielt den Atem an, so sehr wünschte ich mir von ihr, seinen Namen zu hören.
»Ich erinnere mich an Dorbie«, sagte Izia. »Das war mein Fustie.«
»Nein, Izia. Kein Fustigar. Ein Junge. Ein Bruder. Wie hieß er?«
Ihre Augen verschwammen, so konzentrierte sie sich. »Er hieß … hieß Yarrie«, sagte sie schließlich. »Yarrie war mein Bruder. Zwillinge. Zwillinge waren wir.« Tränen quollen aus ihren Augen und rannen die Wangen hinunter. »Ich habe ihn verloren. Alles habe ich verloren.«
»Nein.« Ich drückte ihre Hände, hielt mich zurück, obwohl ich sie am liebsten umarmt hätte, wußte aber, daß sie das nur in Angst versetzen und an Laggy Nicker erinnern würde. »Nein, Izia. Nichts ist verloren. Morgen wirst du mit meinen Vettern losziehen, um Yarrel zu finden, und deine Eltern.« Später verfluchte ich mich, daß ich ihre Eltern erwähnt hatte. Ich hatte seit über einem Jahr nichts von Yarrels Familie gehört. Vielleicht waren sie – oder einer von ihnen – tot. Nun, es war zu spät. Ich hatte es
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