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Das Wahre Spiel 03 - Das dreizehnte Talent

Das Wahre Spiel 03 - Das dreizehnte Talent

Titel: Das Wahre Spiel 03 - Das dreizehnte Talent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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ertrinkt.«
    »Dich trifft keine Schuld«, tröstete sie mich. »Du hast es nicht getan.«
    »Nein«, stimmte ich zu. Und doch hatte ich meinen Teil dazu beigetragen. »Wenn ich ihn nicht nehme, ruht er eingekerkert in dem Blauen, ein lebendiger Geist, eingesperrt wie der Geist in deinen Schülerinnen, den sie verstecken müssen, um sich zu schützen. O Seidenhand, das Schlimmste ist, wenn ich für ihn lesen soll.«
    »LESEN? Wie ein Dämon?«
    »Nein, nein. Bücher. Das heißt, ein Buch. Er möchte, daß ich ihm aus dem kleinen Buch vorlese, das er das Onomasticon nennt, immer und immer wieder. Als ob darin etwas stünde, das er wissen muß, aber nicht finden kann. Ach, er ist so freundlich, sanft, aber ich fühle seinen Kummer wie einen Peitschenschlag.«
    Worauf sie wieder in meine Arme sank, diesmal um mich zu trösten, und wir lagerten auf der breiten Bank unter dem Fenster und starrten zu den Sternen hoch, bis wir einschliefen. Als ich aufwachte, steif und zerschlagen, war es Morgen, und Seidenhand war verschwunden. Ich begab mich zu dem Bedürfnishäuschen, das hinter dem Gästehaus lag. Was für ein dämlicher Platz! In der Leuchtenden Domäne befanden sich die Toiletten neben unseren Zimmern. Rupert, der Sänger, war dort, und ich entschloß mich, etwas über das Windlied herauszufinden, vielleicht zu verstehen, warum es mich so verstörte.
    »Ich interessiere mich für das Lied, das Ihr gestern gespielt habt«, sagte ich höflich. »Das Lied über den Wind.«
    »Besser Ihr interessiert Euch dafür als ich, Spieler«, antwortete er mit einer Grimasse. »Was würde ich darum geben, dieses Lied vergessen zu können!«
    Ich heuchelte Erstaunen, und er gab ein kurzes barsches Lachen von sich, ohne jede Spur von Erheiterung. »Ich habe es zum ersten Mal in der Minchery in Leamer gehört. Dort ist es für Künstler möglich, bereits von Kindesbeinen an zu üben, und jährlich findet ein Liederwettbewerb statt, bei dem sich viele von uns versammeln, als Vorbild für die Schüler, aber auch, um als Preisrichter zu wirken. Dort hört man stets neue Lieder, manche von Schülern geschrieben, oder welche, die aus den Ländern im Norden mitgebracht werden. Viele dieser Lieder klingen düster, geheimnisvoll, denn das mögen die Schüler besonders. Dieses Windlied war eines davon. Ich hörte es und habe seitdem vergebens versucht, es wieder zu vergessen. Ich ertappe mich dabei, daß ich es beim Essen singe, wenn ich bade, sogar wenn ich …« Er zeigte hinter sich zu dem Bedürfnishäuschen.
    »Und die Gegenden, die in dem Lied erwähnt sind? Waenauge? Die Einöde von Bleer? Wo befinden sich die?«
    »Mhm.« Er wirkte irritiert. »Ich weiß nicht, ob es sie überhaupt gibt, Spieler. Ich dachte, sie seien erfunden. Möglicherweise existieren sie ja, aber ich kenne sie nicht.« Er lächelte und verbeugte sich. Ich lächelte und verbeugte mich. Wir gingen auseinander. Meines Erachtens hatte er mir alles erzählt, was er wußte. Angesichts dessen, wie mir selbst das Lied durch den Kopf ging, konnte ich mir gut vorstellen, daß es ihn verfolgte.
    Als ich Seidenhand später am Morgen traf, fragte ich: »Gibt es eine Kartographiererin an eurer Schule?«
    »Spielmeisterin Joumerie«, entgegnete sie. »Eine gute Spielmeisterin. Waffenträgerin. Eine schwierige Person.«
    »Schwierig oder nicht, ich möchte sie gern treffen.«
    Und das tat ich auch, und zwar am Nachmittag in meinem Zimmer im Gästehaus, denn es war Männern nicht gestattet, das Schulgebäude zu betreten. Da man die Mädchen wegen ihres vergänglichen Wertes so hoch schätzte, waren alle Maßnahmen ergriffen worden, damit dieser Wert nicht vorzeitig abhanden kam.
    Ich fragte die Spielmeisterin, ob sie eine Gegend kenne, die man Bleer nannte oder eine, die Waenauge hieß. Auch, ob sie Leamer kannte oder ein Gebiet, in dem Geschöpfe lebten, die Krylobo oder Gnarlibar genannt wurden. Ich hätte gehört, behauptete ich, daß Gnarlibare hoch im Norden lebten, es könnten aber auch nur Gerüchte gewesen sein.
    »Bleer, Bleer«, murmelte sie zu sich selbst und strich, wie zur Unterstützung beim Denken, über den beachtlichen Schnurrbart auf ihrer Oberlippe. Sie war groß, größer als viele Männer, und ihr Gesicht trug den entschlossenen Ausdruck eines Menschen, der sich kein X für ein U vormachen ließ. »Ja. Ich erinnere mich an etwas Derartiges …«
    »Vielleicht eine bergige Gegend«, schlug ich vor. In dem Lied waren Berge, Steine, ein Abgrund und Gefälle

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