Das Wahre Spiel 03 - Das dreizehnte Talent
für eine Weile, wir hätten etwas Wertvolles entdeckt, von meinem Großvater hier zurückgelassen«, schwatzte er los. »Die Einwohner dieses Ortes flohen, sie ließen alles zurück. Viele kamen um, die Flut, der Sturm …«
»Wonach genau sucht Ihr denn?« fragte ich, ganz höfliches Interesse, die Stimme bar jeglichen Argwohns. »Würde es Euch helfen, die Toten hier zu erwecken und sie zu fragen?« Aha, dachte ich. Wenn du nicht willst, daß ich erfahre, was du hier tust, wirst du dieses Angebot bestimmt ausschlagen.
Aha, sagte eine leise Stimme in meinem Kopf. Wenn Rätsel gewollt hätte, daß du die Toten hier erweckst, ohne zu begreifen, was du tust, wäre es dann nicht vorteilhaft gewesen, dich diese seltsame Kappe tragen zu lassen, die der Oberexaminierer bei sich hatte? Hmmh? Chance warf mir einen Blick zu, und ich wandte mich ab, als Rätsel vehement den Kopf schüttelte und nein sagte, nein, der einzige, der Bescheid gewußt hätte, sei sein Großvater, und der wäre ganz woanders gestorben, weit weg von hier, und außerdem sei es zweifelhaft, daß ein Spieler die Toten der Unveränderlichen rufen könne. Ich nickte zustimmend, obwohl ich insgeheim dachte, ich könnte es, wenn ich wollte. Was immer es auch war, das sie immun gegen Talente machte, ich wettete, daß es mit ihrem Tod verschwand.
Ich schüttelte den Kopf, für diejenigen, die dabeistanden. »Es hätte auch wenig Sinn, Rätsel. Je länger sie tot sind, desto weniger erinnern sie sich ans Leben. Sie hungern danach, je älter sie werden, aber sie erinnern sich immer weniger. Wann geschah die Katastrophe?«
Ungefähr vor achtzig Jahren, vermutete er. Sein Vater sei damals ein junger Mann gewesen.
»Da habt Ihr aber lange Zeit verstreichen lassen, bevor Ihr mit der Suche angefangen habt«, sagte ich, triefend vor Freundlichkeit und Interesse. »Eine ziemlich lange Zeit.«
Er murmelte etwas in seinen Bart. Ich glaube, der Sinn war, daß er auch früher gesucht hätte, wenn er früher davon erfahren hätte. Und das sagte mir einiges. Rätsel hatte erst kürzlich davon erfahren. Nun, ich war nicht der Mensch, der ihn ins Schwitzen bringen wollte, indem ich noch lange hier herumhing. Es gab bessere Wege herauszufinden, was ich wissen wollte. Außerdem war ich in seiner Gegenwart ohne Talent und hatte nur einen einzigen Mann an meiner Seite. Es war vielleicht ungefährlicher, sich anderswo aufzuhalten. Ich gab Rätsel die Hand und sagte ihm Aufwiedersehen. Den Oberexaminierer ließ ich in seiner Obhut zurück.
»Er wird für Euch graben, wenn Ihr ihm eine Schaufel in die Hand gebt«, sagte ich. »Und falls ein Spieler vorbeikommt, der ihn kennt, wäre ich Euch dankbar, wenn Ihr mich davon benachrichtigt.« Ich wollte nicht, daß Rätsel ahnte, daß ich ihn irgendwie verdächtigte. In Wahrheit war ich mir noch gar nicht darüber im klaren, daß ich ihn irgendwie verdächtigte. Ich dachte nur, daß Chance um vieles klüger war als ich und daß es klüger von mir wäre – sehr viel klüger, vorsichtiger zu sein. Wenn ich mich nur später auch daran erinnert hätte …
Schweigend ritten wir fort, beide unseren eigenen Gedanken nachhängend. Nach einer Weile wandte ich mich zu Chance und sagte: »Eigentlich glaube ich es nicht.«
»Na, dann eben nicht«, erwiderte er. »Aber sei klug genug, so zu handeln, als ob.«
»Du weißt, wonach er gesucht hat.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
»Vermutlich nach diesen Sachen, die du gefunden hast. Mir ist aufgefallen, daß du sie ihm nicht angeboten hast.«
»Mir ist aufgefallen, daß er sagte, sein Großvater habe sie zurückgelassen. Wie kamen sie in seinen Besitz? Und warum hat Rätsel erst kürzlich von ihnen erfahren? Denn ich wette meinen verlorenen Fellmantel, daß er es noch nicht lange weiß.«
Chance zuckte die Achseln, brummte etwas in sich hinein. »Wissen andere Unveränderliche auch davon?« fragte er schließlich. »Oder nur Rätsel allein? Was ist mit seiner Familie?«
»Er hatte nur eine einzige Tochter«, antwortete ich. Eine lange Pause trat ein, so bedeutungsschwanger, daß ich mich nach Chance umdrehte. Seine Augen ruhten heiß und brütend auf mir. »O nein«, sagte ich. »Ich will nicht.«
»Sie liegt hier in der Nähe begraben«, bemerkte er. »Beinahe in Sichtweite der Ruinen.«
»Ich kann es nicht«, erwiderte ich knapp. Das war die Wahrheit. Ich konnte nicht einmal daran denken, den Geist von Tossa zu erwecken. Ich hätte mich dabei wie ein Ghul gefühlt, und das
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