Das Wahre Spiel 03 - Das dreizehnte Talent
nickte nachdenklich und las weiter. »Je mehr Macht diese Spieler haben, desto korrupter werden sie … doch immer noch werden in jeder Generation welche geboren, die ein Gespür für Gerechtigkeit und das Richtige haben … so wenig, im Vergleich zu den übrigen. Ich wollte, es wären viele!«
»Und ich auch«, sagte Jinian. »Ich wollte, es gäbe mehr wie dich, Peter, und Seidenhand, und weniger solche wie diesen Ghul.«
Ich glaube, ich wurde rot, gewahr meiner eigenen Kämpfe, das Richtige zu erkennen und zu tun. Götter des Spiels! Es ist nicht schwer, das Leben aufs Spiel zu setzen, wenn man nichts hat, für das es sich zu leben lohnt, aber es kommt einem sehr schwer an, wenn das Leben süß ist. Ich versuchte Seidenhands Blick zu erhaschen, in der Hoffnung, sie schaue mich zärtlich an, aber ihre Augen waren geschlossen, und ihr Atem ging so gleichmäßig, als schliefe sie. Jinian fuhr zu lesen fort, ohne etwas zu merken.
»In der Zwischenzeit werden Festivals den jungen Menschen Gelegenheit zur Fortpflanzung bieten … Schulhäuser sie beschützen … Ich fürchte, an der Basis haben sie alle den Bezug zur Wirklichkeit verloren. Sie züchten in den Höhlen Monster und kommen nicht mehr ans Tageslicht …
Ich habe einige von der eingeborenen Bevölkerung dieser Welt getroffen. Wie dumm anzunehmen, hier gäbe es keine! Sie haben uns bis jetzt in diesem kleinen Gebiet unbehelligt gelassen, aber das wird bestimmt nicht immer so sein …
Ich habe diesen großen Plan in Gang gebracht … über tausend Jahre … Jahrhundertelanger Vertrag zwischen uns und dem Volk, das wir geschaffen haben, uns zu beschützen …«
»Lies das letzte noch mal«, sagte ich zu Jinian.
»… über tausend Jahre zur Ausführung. Er wird von unzähligen günstigen Gelegenheiten abhängen, der Gnade und der Unterstützung durch das Schicksal und durch diejenigen, die in dieser Welt schon lebten, bevor wir kamen, und von dem Bestand des jahrhundertelangen Vertrages zwischen uns und dem Volk, das wir geschaffen haben, uns zu beschützen.«
»Überhaupt nicht pompös«, sagte ich in dem Versuch, geistreich zu klingen. »Himmel, hat der Mann sich ernst genommen!«
»Welcher Mann? Wer hat das geschrieben? Zuerst dachte ich, es wäre gedruckt, wie andere Bücher, aber das hier hat jemand ganz klein mit der Hand geschrieben, in altertümlichen Buchstaben. Hier und da ist es auch verschmiert, als sei der Schreiber müde gewesen oder verwirrt.« Sie warf mir das Buch zu, wies mit dem Zeigefinger darauf, und ich sah, was sie meinte. Mit der Zeit war die Tinte verblaßt und das Papier vergilbt, und das Ganze wirkte monochrom und verblichen. Ihre Frage rief einen flüchtigen Gedanken in mir wach, der aber am Rand meines Geistes verblieb. Es war zu spät; wir waren alle zu erschöpft. Im Dämmerlicht konnte ich kaum den Weg vor mir erkennen, geschweige denn die Seiten des Buches.
»Ich glaube, Barish schrieb es«, sagte ich. »Eine Art Tagebuch? Warum ein solches Tagebuch aber so ungeheuer wichtig sein soll, entzieht sich meiner Vorstellungskraft. Windlow, der Seher, hat nach diesem Buch jahrzehntelang gesucht und immerfort darin gelesen, nachdem er es gefunden hatte, um – ja, was eigentlich hat er gesucht? Und gerade jetzt suchen die Unveränderlichen offenbar nach diesem Buch. Und möglicherweise sind sie nicht die einzigen. Ja, es muß ein sehr wichtiges Buch sein. Dessen bin ich mir sicher. Wenn ich nur wüßte, warum. Ich dachte, die Worte aus deinem Mund zu hören, würde mir helfen, aber die Erleuchtung will nicht kommen …«
Und während Seidenhand döste, erzählte ich Jinian alles, was ich über dieses Buch wußte oder vermutete, und über die Spielfiguren von Barish. Die klugen, forschenden Fragen, die sie stellte, erinnerten mich sehr an Himaggery in seinen Glanzzeiten. In der Dunkelheit leuchtete ihr Gesicht bleich und durchscheinend, von einer Art romantischem Schleier verhangen, und ich erinnerte mich, daß ich vor kurzem noch gedacht hatte, daß sie nichtssagend aussähe. Doch wie sagte Chance immer? In der Dunkelheit wirkt jedes Schiff stabil? Nun, sie schien stabil genug zu sein, ob dunkel oder hell.
»Windlow sagte, daß die Worte über die Jahrhunderte hinweg ihre Bedeutung geändert hätten«, erzählte ich. »Er meinte, wenn wir die Worte begriffen, dann wüßten wir auch, was die Dinge einst bedeuteten – oder umgekehrt. Er erwähnte zum Beispiel, daß in diesem Buch das Wort ›Festival‹ eigentlich
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