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Das Wahre Spiel 03 - Das dreizehnte Talent

Das Wahre Spiel 03 - Das dreizehnte Talent

Titel: Das Wahre Spiel 03 - Das dreizehnte Talent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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›Gelegenheit zur Fortpflanzung‹ bedeutete, und er hielt das für sehr wichtig. Ich weiß nicht, weshalb.«
    Sie war eine ernsthafte kleine Person, sehr bedächtig und aufmerksam. Wenn sie etwas abwog, erschienen zwei schmale Linien zwischen ihren Augenbrauen, und ihr Mund zog sich nach unten, als kaue sie an dem Gedanken. Ich hätte am liebsten gelacht, als ich sie, mit dem Schmutz auf ihrem Gesicht und ihren geschwärzten Zähnen, so ernsthaft nachdenken sah, gerade als ob sie vergessen hätte, wie sie aussah. Seidenhand vergaß es nie. Jedesmal, wenn sie erwachte, ließ sie eine mißgelaunte Bemerkung darüber fallen.
    »Es ist doch so, daß mächtige Spieler sich wenig um das Leben anderer kümmern«, sagte Jinian schließlich. »Das wissen wir ja alle. Es gehört zum Spiel. Wenn wir also keine Schulhäuser hätten, würden die jungen Menschen, die noch ohne Talent sind oder diejenigen, die noch nicht wissen, wie sie ihr Talent einsetzen können, in großer Zahl in Spielen verbraucht werden. Wenn sie aber immerfort in Schulhäusern eingesperrt wären, könnten sie keine Kinder bekommen. In Vorboldhaus wurde uns gelehrt, daß es für Frauen am einfachsten ist, Kinder zu bekommen, wenn sie jung sind – ich meine die Frauen, nicht die Kinder. Wenn die Frauen also jung sind, leben sie in Schulhäusern, und wenn sie dann Kinder bekommen sollen, brauchen wir Festivals. Sonst würde es zu wenig Kinder geben, und das wäre das Ende von allem.« Sie seufzte.
    »Falls Barish das hier geschrieben hat, sagt er, daß Schulhäuser und Festivals nötig sind, und weiterhin sagt er, daß er selbst beides erfunden hat. Aber – das ist lange her. Es ist ein sehr altes Buch.«
    »Sehr alt«, murmelte ich. »Und was war das mit den eingeborenen Bewohnern?«
    Sie antwortete eine ganze Weile nichts. Ich dachte, sie wäre eingeschlafen und daß ich das am besten auch tun sollte. Die Wasserochsen trotteten im Sternenschein vorwärts, und wir hatten lange überlegt, ob wir nicht besser anhalten und sie grasen lassen sollten, während wir aßen und schliefen, als Vorbereitung auf den rasenden Galopp in den Morgen hinein – hinter diesem treuen Gespann. Als Jinian schließlich sprach, war es eine Unterhaltung wie im Traum.
    »Hast du jemals die Geschichte von dem treuen Hund gehört?« fragte sie. Ich nickte. Kindermädchen erzählten diese Geschichte. »Hast du jemals einen Hund gesehen?«
    »Es ist nur ein anderes Wort für Fustigar«, erwiderte ich schläfrig.
    »Nein«, sagte sie. »In der Geschichte vom treuen Hund wedelt der Hund mit seinem Schwanz, erinnerst du dich? Fustigare können nicht mit dem Schwanz wedeln. Sie haben keinen.«
    »Vielleicht gab es eine Zeit, in der sie welche hatten«, wandte ich ein. Ich hatte darüber nie nachgedacht, obwohl die alte Geschichte tatsächlich von einem wedelnden Schwanz sprach. Das war auch der springende Punkt dabei, denn der ganze Spaß für uns Kinder bestand darin, dieses Wedeln durch Wackeln mit unserem Allerwertesten nachzuahmen.
    »Pombis haben keine Schwänze«, fuhr sie fort. »Aber Katzen. Und Mäuse. Eulen und Falken auch, aber Speckstreifenfalken nicht. Pferde auch. Aber Zeller nicht.«
    »Wir auch nicht«, sagte ich.
    »Weiß ich. Das ist ja das Merkwürdige, denn ich glaube, wir gehören zu den Katzen, Pferden und dem treuen Hund. Aber wir haben keine Schwänze, im Gegensatz zu ihnen. Auf jeden Fall sieht es so aus, als gäbe es zwei Sorten von Tieren, Vögeln und Geschöpfen, eine, die von hier stammt, und eine andere, die von anderswoher kommt. Ich weiß nicht, zu welcher Sorte wir gehören, zu der von hier oder zu der von anderswoher. Weißt du es?«
    Im Berg der Zauberkünstler hatte ich die Antwort darauf gehört. »Wir kommen von anderswoher.« Sie nahm diese Worte, wie fast alles, was ich sagte, gelassen hin. »Die Schattenmenschen sind aber von hier. Und sie haben keine Schwänze.«
    »Hast du sie gesehen?« Sie war aufgeregt wie ein Kind, das zum ersten Mal die Festivalkönigin zu Gesicht bekommt. Ich antwortete ihr, daß ich sie gesehen hatte, erklärte, wie sie aussahen, und sie lachte, als ich ihr von ihren Liedern erzählte, ihren Flöten, ihren Tänzen, ihren riesigen Augen und großen Flügelohren, ihrer Vorliebe für Hasen (die Schwänze hatten) und Bunwits (die keine besaßen). Ich schilderte ihr ihre Sprache und wie es sich angehört hatte, als sie in den Tälern zwischen den Feuerhügeln »Peter, eter, ter« riefen. Die Wasserochsen hatten am Wegrand, wo

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