Das Wahre Spiel 03 - Das dreizehnte Talent
einem kleinen Tier oder einem Säugling.
»Ich hatte solche Angst«, sagte sie. »Es war so dunkel, und ich fürchtete, du kämst nicht. Ich fürchtete, du könntest nicht zeitig genug kommen.«
Ich warf Chance einen Blick zu, der ihm bis ins Mark gehen mußte, und er hatte den Anstand, murmelnd zuzugeben, daß es seine Schuld war. Ich erzählte Jinian, daß ich Sorah benutzt hatte.
»Ich wußte, daß du etwas unternehmen würdest«, sagte sie. »Ich wußte, daß du mich finden würdest, weil du klug bist, Peter, auch wenn es dir meistens selbst nicht so vorkommt. Doch als die Zeit verstrich und nichts geschah, bekam ich fürchterliche Angst.« Worauf wir einander sinnlose Trostworte zuflüsterten und uns nicht bewegten, bis sich Chance entschieden räusperte.
»So weit, so gut, ihr beiden Hübschen. Obwohl ja alles gut ausgegangen ist, Jinian, wissen wir nicht, wer euch hierhergebracht hat, stimmt’s? Und auch nicht warum. Was also nun? Werden sie zurückkehren, um nachzusehen, ob aus euch Wurst geworden ist oder nicht?«
Jinian trat einen Schritt zurück und erzeugte dabei einen kalten Fleck an der Stelle, wo eben noch schmiegsame Wärme gewesen war. »Besser wäre, sie würden mich für tot halten, Chance. Wir müssen einen Platz finden, wo ich mich verstecken kann. Vielleicht Queynts altes Fuhrwerk … Diejenigen, die mich fingen, sollten glauben, Erfolg gehabt zu haben, wenigstens solange, bis wir herausgefunden haben, was vor sich geht!« Und sie wies uns an, den Pflock wieder so hineinzustecken, wie er vorher gewesen war, die von den Klauen zerkratzte Stelle nach unten.
Während wir zurückritten, erzählte sie uns die Einzelheiten. »Ich sah König Kelver das Lager verlassen, und etwas kam mir dabei komisch vor – an der Art, wie er oder die Männer, die bei ihm waren, blickten –, irgend etwas. Vielleicht war es dumm von mir, aber ich beschloß, ihm zu folgen. Schließlich bin ich Kelver ja versprochen – obwohl er möglicherweise gar keinen großen Wert mehr auf dieses Versprechen legt. Ich folgte eine Zeitlang, verlor die Gruppe dann aber. Ich suchte herum, da und dort, und wurde dabei wahrscheinlich gesehen. Schließlich gab ich auf und kehrte zum Lager zurück.
Ungefähr eine Stunde später erschien ein Mann und behauptete, er sei von Waffenträger Mendost geschickt und überbringe eine wichtige Nachricht über König Kelver, die ich unbedingt hören müsse. Ich wußte sofort, daß er log. Mendost sendet zwar Boten, aber immer nur Herolde, Botschafter oder andere, die in vollem Putz auftreten. Anders läßt es sein Stolz gar nicht zu.
Allerdings dachte ich, daß auch Lügen zur Wahrheit führen können, wenn man sie als solche erkennt, und eine Lüge kann auch ein Spiel einleiten, genauso wie Wahrheiten. Ich hinterließ also Chance eine Nachricht und ritt mit dem Mann mit. Ganz in der Nähe hatte sich ein weiterer versteckt, und die beiden nahmen mich gefangen und würden mich an die Grole verfüttert haben, wenn ihr mich nicht rechtzeitig gefunden hättet. Leider konnte ich nicht erkennen, um welche Art Spieler es sich handelte.«
»Und all das nur, weil du König Kelver gefolgt bist?« fragte ich. Es schien mir kein ausreichender Grund zu sein.
»Aus keinem anderen Grund«, entgegnete Jinian. »Da braut sich etwas zusammen, Peter, und wer immer es ist, der da SPIELT, er möchte nicht, daß jemand anders davon erfährt. Ich muß mich also verstecken, und du mußt herausfinden, was vor sich geht.«
Sie hatte vor, sich in Queynts Fuhrwerk zu verbergen. Ich traute dem Mann nicht. Wir stritten darüber. Sie gewann. Sie dachte, sie könnte sich sogar vor Seidenhand verstecken, obwohl Seidenhand den ganzen Tag auf dem Kutschbock verbrachte. Nun denn, was konnte ich schon machen? Wir versteckten sie in einem Gebüsch nahe des Lagers, und Chance und ich legten uns schlafen. In der Morgendämmerung näherte ich mich Queynt und versuchte ihn so leise, wie es bei einem Mann seines Naturells möglich war, beiseitezunehmen.
»Meinen Rat wollt Ihr, junger Herr? Oh, ich fühle mich geehrt, daß ein stolzer junger Spieler wie Ihr – denn Stolz geht doch immer mit Vornehmheit und Können einher, oder? – für solch einen alten, weitgereisten Burschen wie mich Verwendung hat. Ich habe schon oft Ratschläge erteilt. Tips gegeben. Doch meistens nimmt ja keiner das eine oder andere wirklich ernst. Ihr würdet Euch wundern, wenn Ihr wüßtet, wie selten Worte auf fruchtbaren Boden fallen. Jedenfalls, ich
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