Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)
wirtschaftlichen. Wenn wir vorgetäuschtes sexuelles Begehren verkaufen wollten, ginge das auch billiger. Das Ganze hat ja gerade den Zweck, eine Alternative zu vorgetäuschtem Begehren zu schaffen. Wir glauben daran, dass Sex besser ist, wenn beide Beteiligten ihn genießen – besser als Erfahrung an sich und besser für die Gesellschaft.«
»Das klingt alles sehr edel. Was ist mit Leuten, die auf sexuelle Folter stehen?«
»Wir billigen nur einvernehmliche sexuelle Handlungen, und das gilt auch bei Sex mit Digis. Der Vertrag, den ich Ihnen geschickt habe, garantiert, dass Binary Desire die von Blue Gamma ursprünglich eingebauten Schmerzschutzschalter beibehalten und zusätzlich mit modernsten Zugriffskontrollen ausstatten wird. Wie gesagt, unserer Ansicht nach ist Sex besser, wenn alle Beteiligten Spaß daran haben. Das ist uns ein wirkliches Anliegen.«
»Ihr seid doch einverstanden, oder?«, sagt Felix zu der Gruppe. »Sie haben an alles gedacht.«
Mehrere Mitglieder der Usergruppe starren ihn finster an, und selbst Chases Miene ist anzusehen, dass sie lieber ohne Felix’ Hilfe weitermachen würde.
»Ich weiß, dass dies nicht das ist, was Sie bei Ihrer Suche nach Investoren im Sinn hatten«, sagt Chase. »Aber ich denke, wenn Sie einmal unvoreingenommen über die Sache nachdenken, werden Sie mir zustimmen, dass unser Vorschlag für alle Beteiligten von Vorteil ist.«
»Wir überlegen es uns und melden uns bei Ihnen«, sagt Derek.
»Danke, dass Sie mir zugehört haben«, sagt Chase. Auf dem Bildschirm öffnet sich ein Fenster und zeigt an, dass der Betrag auf dem Treuhandkonto freigegeben wurde. »Noch ein letzter Hinweis. Falls eine andere Firma an Sie herantritt, achten Sie auf das Kleingedruckte. Höchstwahrscheinlich wird es eine Klausel enthalten, die auch unsere Rechtsanwälte gerne eingefügt hätten – eine Klausel, durch die die Firma das Recht erhält, Ihre Digis an eine andere Firma weiterzuverkaufen, und zwar ohne die Schmerzschutzschalter. Ich nehme an, Sie wissen, was das heißt?«
Ana nickt; es bedeutet, dass die Digis womöglich als Folteropfer an eine Firma wie Edgeplayer verkauft würden. »Ja.«
»Binary Desire hat die Empfehlung der Rechtsanwälte abgelehnt. Unser Vertrag garantiert, dass die Digis niemals für etwas anderes als einvernehmlichen Sex benutzt werden. Achten Sie darauf, ob Ihnen sonst noch jemand diese Garantie bietet.«
»Vielen Dank«, sagt Ana. »Wir melden uns bei Ihnen.«
Vor der Präsentation von Binary Desire hatte Ana diese für eine Formalität gehalten – eine Möglichkeit, ein wenig Geld zu verdienen, indem man sich ein geschäftliches Angebot anhört. Nachdem sie das Angebot nun kennt, denkt sie auf einmal viel darüber nach.
Der Welt des virtuellen Sex hat sie keine Beachtung mehr geschenkt, seit sie im College war und ihr damaliger Freund ein Semester im Ausland verbracht hat. Vor seiner Abreise hatten sie gemeinsam die nötige Hardware gekauft – äußerlich unauffälliges Kunststoffzubehör mit einem albernen Innenleben aus Silikon – und jedes Teil mit der Seriennummer des jeweils anderen gesichert, eine Treuegarantie für ihre virtuellen Genitalien. Bei den ersten Malen machte es unerwartet viel Spaß, doch der Reiz des Neuen war rasch verflogen, und die Unzulänglichkeit der Technik wurde deutlich. Sex ohne Küssen gab einfach nicht genug her, und Ana vermisste das Gesicht ihres Freundes wenige Zentimeter über ihr, sie vermisste das Gewicht seines Körpers, seinen Moschusgeruch; einander auf dem Bildschirm zu sehen, war kein Ersatz, ganz egal, wie nah die Kamera ihm war. Ihre Haut verlangte nach der seinen auf eine Art, die kein technisches Zubehör stillen konnte; als das Semester zu Ende ging, hatte sie das Gefühl, vor Sehnsucht zu vergehen. Zweifellos ist die Technologie inzwischen besser geworden, aber es ist noch immer eine armselige Form der Intimität.
Ana erinnert sich, was für ein Unterschied es war, als sie Jax zum ersten Mal in einem physikalischen Körper gesehen hat. Wenn ein Digi einen Puppenkörper hätte, würde das die Vorstellung von Sex mit ihm reizvoller machen? Nein. Wenn sie Schmutz von seinen Linsen entfernt oder ihn auf Kratzer untersucht hat, hat ihr Gesicht sich schon oft dicht vor seinem befunden, und das ist etwas ganz anderes, als einem Menschen nahe zu sein; bei einem Digi fehlt das Gefühl, in jemandes Distanzzone einzudringen; nicht einmal das Zutrauen, das ein Hund ausdrückt, der sich den Bauch kraulen
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