Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)

Binary Desire verändern lassen ist nicht gefährlich.«
    »Nein, das nicht, aber es ist trotzdem keine gute Idee.«
    »Ich denke, ist doch.«
    »Was? Ich glaube nicht, dass du verstehst, was sie vorhaben.«
    Marco wirft ihm einen frustrierten Blick zu. »Doch. Sie machen, dass ich mag, was sie wollen, auch wenn ich jetzt nicht mag.«
    Derek wird klar, dass Marco es tatsächlich begreift. »Und du hältst das nicht für falsch?«
    »Warum falsch? Alles, was ich jetzt mag, ist wegen Blue Gamma. Das ist auch nicht falsch.«
    »Nein, aber das war etwas anderes.« Er überlegt kurz, um es zu erklären. »Blue Gamma hat dich dazu gebracht, gern zu essen, aber sie haben nicht festgelegt, welche Futtersorte du mögen sollst.«
    »Ja und? Ist nicht so viel anders.«
    »Es ist schon etwas anderes.«
    »Ich denke, ist falsch, wenn sie Digis bearbeiten, die nicht wollen, aber wenn Digis vor Bearbeitung einverstanden sind, dann nicht falsch.«
    Derek ist zunehmend verärgert. »Willst du eine Firma sein und deine eigenen Entscheidungen treffen, oder willst du, dass jemand für dich entscheidet? Was denn nun?«
    Marco überlegt. »Vielleicht ich probiere beides. Eine Kopie von mir wird Firma, zweite Kopie von mir arbeitet für Binary Desire.«
    »Es macht dir nichts aus, wenn man Kopien von dir macht?«
    »Polo ist Kopie von mir. Das auch nicht falsch.«
    Derek ist mit seinem Latein am Ende; er bricht die Diskussion ab und schickt die Digis fort, damit sie sich mit ihren Lernmaterialien beschäftigen, doch er kann Marcos Worte nicht einfach so abtun. Einerseits hat Marco ein paar gute Argumente vorgebracht, auf der anderen Seite aber hat Derek seine Collegezeit noch gut genug in Erinnerung, um zu wissen, dass es noch lange kein Beweis für geistige Reife ist, wenn man geschickt diskutieren kann. Nicht zum ersten Mal kommt ihm der Gedanke, wie viel leichter alles wäre, wenn die Digis in einem gesetzlich festgelegten Alter volljährig würden; ohne eine solche Regelung wird die Entscheidung, wann Marco reif für die Anmeldung als Firma ist, allein bei Derek liegen.
    Derek ist nicht der Einzige, der nach dem Angebot von Binary Desire mit Meinungsverschiedenheiten konfrontiert ist. Bei seinem nächsten Gespräch mit Ana berichtet sie von einem Streit, den sie kürzlich mit Kyle hatte.
    »Er denkt, wir sollten das Angebot von Binary Desire annehmen«, sagt sie. »Er hat gesagt, das sei wesentlich besser, als wenn ich für Polytope arbeite.«
    Wieder eine Gelegenheit, Kyle zu kritisieren – wie soll Derek sich verhalten? »Weil er denkt, dass es nicht so schlimm wäre, die Digis zu modifizieren«, sagt er schließlich.
    »Genau.« Sie regt sich ein wenig auf und kehrt dann zum Thema zurück. »Es ist ja nicht so, dass ich denke, das InstantCare-Pflaster sei nicht so schlimm. Natürlich ist es das. Aber es ist ja wohl etwas anderes, wenn ich freiwillig InstantCare benutze, als wenn Binary Desire den Digis seine Bindungsmechanismen einfach aufzwingt.«
    »Ein gewaltiger Unterschied. Aber weißt du, das bringt mich auf eine interessante Frage.« Er erzählt ihr von seinem Gespräch mit Marco und Polo. »Ich bin nicht ganz sicher, ob Marco nicht einfach nur zum Spaß mit mir diskutiert hat, aber es hat mich ins Grübeln gebracht. Wenn ein Digi sich freiwillig den Veränderungen unterzieht, die Binary Desire vorhat, ist das dann etwas anderes?«
    Ana wirkt nachdenklich. »Ich weiß nicht. Vielleicht.«
    »Wenn ein Erwachsener freiwillig ein InstantCare-Pflaster benutzen will, kann man ihm das nicht verbieten. Was bräuchten wir, um Jax’ oder Marcos Entscheidung genauso respektieren zu können?«
    »Sie müssten volljährig sein.«
    »Aber wenn wir wollten, könnten wir sie gleich morgen als Firmen anmelden«, sagt er. »Wieso sind wir uns so sicher, dass das falsch ist? Angenommen, Jax sagt dir eines Tages, er versteht, worauf er sich bei dem Angebot von Binary Desire einlässt, genau wie du bei Polytope. Unter welchen Bedingungen könntest du seine Entscheidung akzeptieren?«
    Sie überlegt einen Moment lang. »Wahrscheinlich hinge es davon ab, ob ich glauben würde, dass seine Entscheidungen auf Erfahrungen basieren. Jax hat noch nie eine romantische Beziehung oder einen Job gehabt, und wenn er das Angebot von Binary Desire annimmt, bedeutet das für ihn beides auf einmal, womöglich für immer. Ich möchte, dass er in diesen Dingen ein wenig Erfahrung hat, bevor er eine so weitreichende Entscheidung trifft. Wenn er erst mal Erfahrung