Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)
ihnen geben würden, wären zwar menschenähnlich, aber nicht menschlich. Verstehen Sie, wir versuchen nicht, die Erfahrung von Sex mit einem Menschen nachzuahmen; wir wollen nichtmenschliche Partner anbieten, die einnehmend, liebevoll und beim Sex mit echter Begeisterung bei der Sache sind. Wir bei Binary Desire sind überzeugt, das wir damit eine ganz neue Form von Sex erleben werden.«
»Eine neue Form von Sex?«, fragt Stuart. »Damit meinen Sie, dass Sie eine sexuelle Vorliebe populär machen, bis sie normal wird.«
»So könnte man es nennen«, sagt Chase. »Aber sehen Sie es einmal aus einer anderen Perspektive: Unsere Vorstellung von gesundem Sex hat sich mit der Zeit immer mehr erweitert. Früher hielten die Leute Homosexualität, BDSM und Polyamorie für Anzeichen psychischer Störungen, aber bei diesen Neigungen gibt es im Grunde nichts, was sich nicht mit einer liebevollen Beziehung vereinbaren ließe. Die Bedürfnisse des Einzelnen wurden einfach nur von der Gesellschaft stigmatisiert. Wir glauben, dass Digi-Sex irgendwann als gängige sexuelle Spielart akzeptiert werden wird. Aber dafür muss man offen und ehrlich damit umgehen und darf nicht so tun, als wäre ein Digi ein Mensch.«
Auf dem Bildschirm erscheint ein Icon und zeigt an, dass Chase der Gruppe ein Dokument übermittelt hat. »Ich sende Ihnen hier den Vertrag, den wir Ihnen anbieten«, sagt sie, »aber ich möchte ihn kurz für Sie zusammenfassen. Binary Desire wird für die Kosten der Portierung von Neuroblast nach Weltenraum aufkommen und erhält dafür die nicht exklusiven Rechte an Ihren Digis. Sie haben weiterhin das Recht, Kopien Ihrer Digis anzufertigen und zu verkaufen, solange sie nicht mit unseren Digis konkurrieren. Wenn die Digis sich gut verkaufen, erhalten Sie außerdem Tantiemen. Und Ihre Digis werden Freude an ihrer Tätigkeit haben.«
»Gut, danke schön«, sagt Ana. »Wir sehen uns den Vertrag an und geben Ihnen Bescheid. War das alles?«
Chase lächelt. »Noch nicht ganz. Ehe ich das Geld freigebe, würde ich gern auf Ihre möglichen Bedenken eingehen; ich verspreche Ihnen, nicht gekränkt zu sein. Haben Sie Vorbehalte wegen des sexuellen Aspekts?«
Ana zögert, dann sagt sie: »Nein, es ist der Zwang.«
»Es wird keinerlei Zwang geben. Der Bindungsprozess sorgt dafür, dass die Digis ebenso viel Spaß haben wie ihre Besitzer.«
»Aber Sie lassen sie nicht entscheiden, was ihnen Spaß macht.«
»Ist das bei Menschen denn so anders? Als kleines Mädchen fand ich die Vorstellung, einen Jungen zu küssen, vollkommen uninteressant, und wenn es nach mir gegangen wäre, wäre es dabei geblieben.« Chase lächelt ein wenig verschämt, als wollte sie andeuten, wie sehr sie das Küssen inzwischen genießt. »Wir werden zu sexuellen Wesen, ob uns das nun gefällt oder nicht. Bei den Modifikationen, die Binary Desire an den Digis vornehmen würde, verhält es sich nicht anders. Im Grunde wäre es sogar besser. Manche Menschen schleppen sexuelle Vorlieben mit sich herum, die ihnen lebenslanges Leid bescheren. Das wird den Digis nicht passieren. Jedes Digi erhält einen Sexualpartner, der es perfekt ergänzt. Das ist kein Zwang, das ist die ultimative sexuelle Erfüllung.«
»Aber es ist nicht echt«, platzt Ana heraus und bereut es sofort.
Auf diese Vorlage hat Chase gewartet. »Inwiefern?«, fragt sie. »Ihre Gefühle für Ihre Digis sind echt; die Gefühle Ihrer Digis für Sie sind echt. Wenn Sie und Ihr Digi eine echte, nichtsexuelle Beziehung haben können, wieso sollte dann eine sexuelle Verbindung zwischen einem Menschen und einem Digi weniger echt sein?«
Ana ist vorübergehend um eine Antwort verlegen, und Derek springt für sie ein. »Wir könnten ewig so weiterphilosophieren«, sagt er. »Entscheidend ist, wir haben unsere Digis nicht jahrelang großgezogen, damit jetzt Sexspielzeuge aus ihnen werden.«
»Das ist mir klar«, sagt Chase. »Und der Deal hindert Sie ja nicht daran, Kopien Ihrer Digis andere Dinge tun zu lassen. Aber im Moment haben Ihre Digis, so großartig sie auch sind, keine verwertbaren Fähigkeiten, und niemand weiß, wann es so weit sein wird. Wie wollen Sie denn sonst das benötigte Geld aufbringen?«
Wie viele Frauen mögen sich wohl schon die gleiche Frage gestellt haben, überlegt Ana. »Das älteste Gewerbe der Welt also.«
»So könnte man es ausdrücken, aber ich möchte Sie noch einmal darauf hinweisen, dass die Digis keinerlei Zwängen ausgesetzt sein werden, nicht einmal
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