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Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)

Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)

Titel: Das wahre Wesen der Dinge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ted Chiang
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Vergnügen«, sagt Brauer. »Ein Digi, das schon länger läuft als die meisten Betriebssysteme? Das bekommt man nicht oft zu Gesicht.«
    »Ja, das stimmt.« Ana wird klar, dass sie eher aus nostalgischen Gründen gekommen sind und nicht, um mit ihr über Geschäftliches zu reden. Nun, sei’s drum, solange sie nur hier sind.
    Ana stellt den beiden die Digis vor, die ihnen kleine Einblicke in ihre jüngsten Projekte geben. Jax führt einen von ihm konstruierten virtuellen Apparat vor, eine Art Synthesizer, der Musik spielt, während Jax dazu tanzt. Marco erklärt ein Knobelspiel, das er sich ausgedacht hat und das man gemeinsam oder gegeneinander spielen kann. Brauer interessiert sich besonders für Lolly, die ihnen ein selbst geschriebenes Programm zeigt; anders als Jax und Marco, die für ihre Projekte virtuelles Werkzeug benutzt haben, schreibt Lolly richtigen Programmcode. Brauers Enttäuschung ist deutlich spürbar, als klar wird, dass Lolly nicht besser als andere Programmieranfänger ist; ganz offensichtlich hatte er gehofft, dass sie aufgrund ihrer Digi-Natur für dieses Gebiet eine besondere Begabung haben würde.
    Nachdem sie sich eine Zeit lang mit den Digis unterhalten haben, loggen sich Ana und die Besucher von Exponential aus Erde 2.1 aus und schalten auf Videokonferenz um.
    »Sie sind großartig«, sagt Brauer. »Ich hatte auch mal einen, aber er ist nie weitergekommen als bis zu Babysprache.«
    »Sie hatten mal ein Neuroblast-Digi?«
    »Klar, sobald sie herauskamen, habe ich mir eines gekauft. Es war eine Instanz des Jax-Maskottchens, genau wie Ihrer. Ich habe ihn ›Fitz‹ getauft und hatte ihn ein Jahr lang in Betrieb.«
    Dieser Mann hatte einmal einen Baby-Jax, denkt Ana. Irgendwo ist eine Babyversion von Jax abgespeichert, die diesen Mann als Besitzer betrachtet. Laut sagt sie: »Wurde er Ihnen langweilig?«
    »Das weniger, aber mir wurden seine Beschränkungen bewusst. Mir wurde klar, dass das Neuroblast-Genom der falsche Ansatz war. Natürlich war Fitz intelligent, aber es hätte ewig gedauert, bevor er irgendetwas Sinnvolles hätte tun können. Sehr verdienstvoll, wie lange Sie mit Jax durchgehalten haben. Sie haben da wirklich viel erreicht.« Bei ihm klingt es, als hätte sie die weltweit größte Zahnstocher-Skulptur modelliert.
    »Halten Sie Neuroblast immer noch für den falschen Ansatz? Sie haben doch selbst gesehen, was Jax kann. Haben Sie bei Exponential irgendetwas Vergleichbares?« Es klingt schärfer, als sie beabsichtigt hatte.
    Brauer lässt sich nicht provozieren. »Wir suchen nicht nach einer KI, die mit den Menschen gleichzieht. Wir suchen nach einer KI, die dem Menschen überlegen ist.«
    »Und Sie glauben nicht, dass eine menschenähnliche KI ein Schritt in diese Richtung wäre?«
    »Nicht, wenn sie so ist wie Ihre Digis«, sagt Brauer. »Sie wissen nicht mit Sicherheit, ob Jax je als Programmierer arbeiten kann, ganz zu schweigen davon, ob mal ein Genie aus ihm wird. Nach Ihrem Kenntnisstand hat er seinen Zenit erreicht.«
    »Ich glaube nicht, dass ...«
    »Aber Sie können sich nicht sicher sein.«
    »Wenn das Neuroblast-Genom ein Digi wie ihn hervorbringt, könnte es auch eines hervorbringen, das so intelligent ist, wie Sie sich das wünschen. Der Alan Turing unter den Neuroblast-Digis ist noch nicht geboren.«
    »Gut, nehmen wir mal an, Sie haben recht«, sagt Brauer, ganz offensichtlich um Nachsicht bemüht. »Wie viele Jahre bräuchten Sie, um ihn zu finden? Schon die Aufzucht der ersten Generation hat so lange gedauert, dass ihre Plattform inzwischen veraltet ist. Wie viele Generationen bräuchten Sie, um einen Turing zu präsentieren?«
    »Wir werden sie nicht immer in Echtzeit laufen lassen müssen. Irgendwann wird es so viele Digis geben, dass wir eine autarke Gruppe bilden können, und danach sind sie nicht mehr von der Interaktion mit Menschen abhängig. Wir könnten eine ganze Digi-Gesellschaft in Treibhausgeschwindigkeit laufen lassen, ohne zu riskieren, dass sie verwildern, und dann sehen, was dabei herauskommt.« Eigentlich ist Ana alles andere als zuversichtlich, dass bei diesem Szenario ein Turing herauskommen würde, aber sie hat dieses Argument so lange eingeübt, dass es klingt, als würde sie daran glauben.
    Brauer ist jedoch nicht überzeugt. »So viel zum Thema riskante Geldanlagen. Sie führen uns eine Handvoll Teenager vor und bitten uns, Ihre Ausbildung zu finanzieren, in der Hoffnung, dass sie als Erwachsene eine Nation bilden, die Genies

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