Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)
eine Nadel des größten Instrumentenpaares heraus und gab sie Stratton, damit dieser sie sich ansehen konnte. Die Glasnadel war nicht durchsichtig, im Inneren schien etwas Geflecktes zu stecken.
Ashbourne erläuterte: »Das hier mag zwar wie ein medizinisches Instrument aussehen, in Wirklichkeit ist es jedoch genauso ein Namensträger wie das traditionellere Pergament. Leider ist es weitaus schwieriger, so eine Nadel herzustellen, als ein Pergament mit einem Stift zu beschreiben. Dafür muss man zunächst schwarze Glasfasern so in einem Bündel durchsichtiger Fasern anordnen, dass der Name lesbar ist, wenn man vom Längsende her hineinsieht. Danach verschmilzt man die Fasern zu einem festen Stab und zieht diesen zu einem immer dünneren Strang in die Länge. Ein geschickter Glasbläser vermag jede Einzelheit des Namens zu bewahren, ganz gleich, wie dünn der Strang wird. Schließlich erhält man eine Nadel, die in ihrem Querschnitt den Namen enthält.«
»Wie haben Sie den Namen erzeugt, den Sie dafür verwendet haben?«
»Darüber können wir später ausführlich sprechen. Fürs Erste sollten Sie wissen, dass ich das geschlechtliche Epitheton integriert habe. Sind Sie damit vertraut?«
»Ich habe davon gehört.« Es war eines der wenigen Epitheta, die zweierlei Gestalt besaßen – sowohl männliche als auch weibliche Varianten.
»Ich brauchte natürlich zwei Versionen des Namens, um die Bildung sowohl männlicher als auch weiblicher Individuen anzuregen.« Er deutete kurz auf die paarweise angeordneten Nadeln in dem Schränkchen.
Stratton war inzwischen klar geworden, dass man die Nadeln in dem Messinggestell befestigen konnte, sodass ihre Spitze auf den Objektträger unter dem Mikroskop zeigte; die gerändelten Rädchen hatten vermutlich den Zweck, die Nadel in Kontakt mit der Eizelle zu bringen. Er gab das Instrument zurück. »Sie sagten, der Name werde nicht eingeführt, sondern eingeprägt. Wollen Sie mir etwa erzählen, man müsse das Froschei nur mit dieser Nadel berühren? Und nach der Entfernung des Namens wirkt der Name weiter?«
»Ganz genau. Der Name setzt in dem Ei einen irreversiblen Prozess in Gang. Dabei macht es keinen Unterschied, wie lange der Kontakt andauert.«
»Und aus dem Ei schlüpfte dann eine Kaulquappe?«
»Bei den Namen, die wir anfangs verwendet haben, nicht; sie bewirkten lediglich eine symmetrische Einstülpung an der Oberfläche des Eis. Aber durch die Integration verschiedener Epitheta konnte ich das Ei dazu bringen, diverse Gestalten anzunehmen, von denen einige verblüffend sich entwickelnden Fröschen glichen. Schließlich fand ich einen Namen, durch den das Ei nicht nur die Gestalt einer Kaulquappe annahm, sondern der diese auch heranwachsen und schlüpfen ließ. Aus der so geschlüpften Kaulquappe wurde ein Frosch, der von seinen Artgenossen nicht zu unterscheiden war.«
»Sie hatten ein Euonym für diese Froschart gefunden«, sagte Stratton.
Ashbourne lächelte. »Da diese Art der Fortpflanzung keine sexuelle Vereinigung beinhaltet, habe ich sie ›Parthenogenese‹ genannt.«
Stratton sah ihn und Fieldhurst an. »Was Sie als Lösung vorschlagen, liegt auf der Hand. Die logische Schlussfolgerung aus diesen Ergebnissen ist, dass man ein Euonym für die menschliche Spezies suchen muss. Sie wollen, dass die Menschheit durch die Nomenklatur fortbesteht.«
»Sie finden diese Aussicht verstörend«, sagte Fieldhurst. »Das war zu erwarten – Dr. Ashbourne und ich dachten anfangs auch so, genau wie alle anderen, die das Verfahren erwogen haben. Niemand findet die Aussicht auf künstliche Fortpflanzung sonderlich reizvoll. Aber haben Sie eine andere Lösung?« Stratton schwieg, und Fieldhurst sprach weiter. »Alle, die sowohl Dr. Ashbournes als auch Dubuissons und Gilles Arbeit kennen, sind sich darüber einig: Es gibt keine andere Lösung.«
Stratton gab sich alle Mühe, weiterhin ganz der leidenschaftslose Wissenschaftler zu bleiben. »Wie stellen Sie sich die Anwendung dieses Namens vor?«, fragte er.
Ashbourne antwortete ihm. »Wenn ein Ehemann nicht in der Lage ist, seine Frau zu schwängern, werden die beiden Hilfe bei einem Arzt suchen. Der Arzt analysiert dann den Zyklus der Frau, entnimmt die Eizelle, prägt ihr den Namen ein und setzt sie dann wieder in die Gebärmutter ein.«
»Ein auf diese Weise geborenes Kind hätte keinen biologischen Vater.«
»Richtig, aber der biologische Beitrag des Vaters spielt in diesem Fall kaum eine Rolle. Die Mutter wird
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