Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)
hier sehen, und alle weiblichen Exemplare sind auf die gleiche Art identisch. Angehörige desselben Geschlechts lassen sich äußerlich nicht voneinander unterscheiden, ganz egal, wie unterschiedlich die jeweiligen Väter sind; nur weil wir gewissenhaft Aufzeichnungen machen, können wir die einzelnen Megaföten auseinanderhalten.«
Stratton richtete sich wieder auf. »Welchen Zweck verfolgt das Experiment, wenn nicht die Entwicklung einer künstlichen Gebärmutter?«
»Es ging darum, die Theorie der Artenkonstanz zu überprüfen.« Dem Earl wurde klar, dass Stratton kein Zoologe war, und er erklärte: »Wären Linsenschleifer in der Lage, Mikroskope mit unendlicher Vergrößerung zu konstruieren, könnten Biologen die zukünftigen, in den Spermien jeder Spezies ineinander geschachtelten Generationen untersuchen und so erkennen, ob sie äußerlich gleich bleiben oder sich verändern und zu einer neuen Spezies entwickeln. Man könnte dann auch sehen, ob der Übergang sich langsam oder abrupt vollzieht.
Durch chromatische Aberration ist die Vergrößerungskraft jedes optischen Geräts jedoch nach oben hin begrenzt. Die Herren Dubuisson und Gille kamen auf die Idee, die Föten selbst künstlich zu vergrößern. Sobald ein Fötus erst einmal seine Erwachsenengröße erreicht hat, kann man ihm ein Spermatozoon entnehmen und einen Fötus der nächsten Generation auf die gleiche Weise vergrößern.« Fieldhurst trat zum zweiten Tisch in der Reihe und zeigte auf den Behälter, der dort stand. »Durch die Wiederholung des Verfahrens können wir die ungeborenen Generationen jeder beliebigen Spezies erforschen.«
Stratton sah sich in dem Raum um. Die Reihen der Behälter gewannen eine neue Bedeutung. »Man hat also die zeitlichen Abstände zwischen den ›Geburten‹ komprimiert, um einen Ausblick auf die Zukunft unserer Art zu bekommen.«
»Ganz genau.«
»Welch kühnes Unterfangen! Und was kam dabei heraus?«
»Man hat mehrere Tierarten untersucht, stieß jedoch nie auf irgendwelche äußerlichen Veränderungen. Bei den Föten aus menschlichen Samenzellen hingegen kam etwas Seltsames heraus. Nach nur fünf Generationen enthielten die männlichen Föten keine Spermien und die weiblichen keine Eizellen mehr. Die Erblinie endete in einer sterilen Generation.«
»Ich vermute, das war nicht völlig unerwartet«, sagte Stratton und blickte auf die geleeartige Gestalt. »Durch jede Wiederholung wird wohl in den Organismen etwas Wesentliches geschwächt. Es ist nur plausibel, dass die Nachkommenschaft ab einem bestimmten Punkt so kraftlos ist, dass die Methode fehlschlägt.«
»Das dachten Dubuisson und Gille zunächst ebenfalls«, stimmte Fieldhurst zu, »daher versuchten sie, ihr Verfahren zu verbessern. Doch zwischen aufeinanderfolgenden Fötengenerationen gab es hinsichtlich Größe oder Vitalität keine Unterschiede. Ebenso wenig nahm die Zahl der Spermien oder Eizellen ab; die vorletzte Generation war ebenso fruchtbar wie die erste. Der Übergang zur Sterilität vollzog sich unvermittelt.
Außerdem stieß man auf eine weitere Anomalie: Obwohl einige Spermien lediglich vier oder weniger Generationen hervorbrachten, gab es diese Unterschiede nur zwischen verschiedenen Proben, niemals innerhalb einer Probe. Dubuisson und Gille haben Proben von Spendern ausgewertet, die zueinander in Vater-Sohn-Beziehung standen, und hier produzierten die Spermatozoen des Vaters genau eine Generation mehr als die des Sohnes. Dabei waren einige der Spender, soviel ich weiß, äußerst betagt. Deren Proben enthielten zwar sehr wenige Spermatozoen, nichtsdestotrotz jedoch eine Generation mehr als die Proben der Söhne, die in der Blüte ihres Lebens standen. Die Zeugungskraft des Spermas stand in keinerlei Zusammenhang mit Gesundheit oder Vitalität des Spenders; vielmehr korrelierte es mit der Generation, zu der der Spender gehörte.«
Fieldhurst hielt inne und sah Stratton ernst an. »Zu diesem Zeitpunkt nahm die Akademie Kontakt mit mir auf, um herauszufinden, ob die Royal Society ihre Ergebnisse reproduzieren konnte. Gemeinsam kamen wir zum selben Ergebnis, wobei unsere Probanden so unterschiedlichen Völkern wie den Lappen und den Hottentotten entstammten. Hinsichtlich der Schlussfolgerungen aus diesen Ergebnissen sind wir uns einig: Die menschliche Spezies existiert nur für eine vorgegebene Generationenzahl, und wir gehören zu einer der letzten fünf Generationen.«
Stratton drehte sich zu Ashbourne um, halb in der Erwartung zu
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