Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)

kommt zu ihr herüber und betrachtet den Stoff ihrer Hose. Vorsichtig krault sie ihn am Hinterkopf. Offenbar funktionieren die Sensoren im Körper des Roboters, denn Jax schmiegt sich in ihre Hand; sie spürt sein Gewicht, den dynamischen Widerstand seines Antriebs. Dann umarmt Jax ihre Beine.
    »Kann ich ihn behalten?«, fragt sie die Umstehenden. »Er ist mir zugelaufen.«
    Alle lachen. »Das sagst du jetzt«, meint Mahesh, »aber wenn er erst mal deine Handtücher die Toilette runterspült, sieht das anders aus.«
    »Ich weiß, ich weiß«, sagt Ana. Es gibt viele Gründe, weshalb Blue Gamma sich auf die virtuelle und nicht die wirkliche Welt konzentriert hat – geringere Kosten, die Mühelosigkeit der sozialen Vernetzung –, aber ein Grund war das Risiko von Sachschäden; sie könnten kein Haustier verkaufen, das womöglich die Jalousie herunterreißt oder auf einem teuren Teppich Mayonnaiseschlösser baut. »Ich finde es nur toll, Jax so zu sehen.«
    »Da hast du recht, es ist toll. Wegen SaruMech hoffe ich allerdings, dass das Ganze sich gut auf Video macht.« SaruMech Toys hat nicht vor, die Roboterkörper zu verkaufen, sondern will sie stundenweise vermieten. Man möchte den Digis die Körper in einer Fabrik außerhalb von Osaka überlassen und sie auf Exkursionen in die wirkliche Welt mitnehmen, während die Besitzer über Kameras, die man auf winzige Zeppeline montiert hat, zuschauen. Ana verspürt plötzlich den Drang, dort zu arbeiten; Jax so zu sehen, erinnert sie daran, wie sehr sie den physischen Aspekt der Arbeit mit Tieren vermisst und wieso der Umgang mit den Digis über einen Bildschirm einfach nicht das Gleiche ist.
    Robyn fragt Mahesh: »Wollen Sie, dass alle Maskottchen den Roboter ausprobieren?«
    »Ja, aber erst wenn sie den Beweglichkeitstest bestanden haben. Wenn der Roboter hier kaputtgeht, wird SaruMech uns nicht noch einen umsonst geben.«
    Jetzt spielt Jax mit ihren Schuhen und zieht an einem der Schnürsenkel. Es kommt nicht oft vor, dass Ana den Wunsch hat, reich zu sein, doch jetzt, als sie spürt, wie das Schuhband sich unter Jax’ Bemühungen strafft, wünscht sie sich genau das. Denn wenn sie es sich leisten könnte, würde sie sich sofort einen dieser Roboter kaufen.

    Mehrere Angestellte teilen sich die Aufgabe, den Maskottchen die wirkliche Welt zu zeigen; Derek übernimmt normalerweise Marco oder Polo. Seine erste Idee war, sie mit nach draußen zu nehmen, in den Büropark, in dem das Hauptgebäude von Blue Gamma liegt, und ihnen die Grünstreifen und die Sträucher zu zeigen, die den Parkplatz unterteilen. Er weist auf den krebsähnlichen Roboter hin, der sich um die Pflege der Außenanlagen kümmert, das Ergebnis eines früheren Versuchs, Digis in die wirkliche Welt zu bringen. Der Roboter hat einen stilettoähnlichen Aufsatz zum Unkrautrupfen und verrichtet seine Arbeit rein instinktiv. Er ist das Produkt eines Wettbewerbs in den Treibhäusern von Erde 2 , einer evolutionären Entwicklung von Gärtnerrobotern – Generationen von Siegern haben ihn hervorgebracht. Derek ist neugierig, wie die Maskottchen reagieren werden, wenn sie die Geschichte des Unkraut rupfenden Roboters hören, und ob sie sich mit ihm, einem weiteren Emigranten aus Erde 2 , identifizieren werden, aber sie zeigen nicht das geringste Interesse.
    Dagegen scheinen Maskottchen die verschiedenen Materialien höchst faszinierend zu finden. Die Oberflächen auf Erde 2 haben viele visuelle Details zu bieten, besitzen aber abgesehen von einem Spannungskoeffizienten keinerlei taktile Eigenschaften; nur wenige Spieler benutzen Controller, die Tastempfindungen weiterleiten, daher geben sich die meisten Hersteller keine Mühe mit den Oberflächen. Jetzt, da die Digis die Dinge in der realen Welt anfassen können, entdecken sie auch bei den einfachsten Gegenständen immer wieder Neues. Als Marco von seinem Ausflug im Roboterkörper zurückkehrt, redet er ununterbrochen über die Teppiche und die Möbelpolster; als Polo den Körper trägt, verbringt er die ganze Zeit damit, die rauen, rutschsicheren Stufen in den Treppen des Gebäudes zu betasten. Es ist nicht weiter überraschend, dass die Sensorflächen in den Fingern des Roboters als erste Komponenten ersetzt werden müssen.
    Als Nächstes fällt Marco auf, wie sehr sich Dereks Mund von seinem eigenen unterscheidet. Der Mund eines Digis hat nur eine vage Ähnlichkeit mit dem eines Menschen; ihre Lippen bewegen sich zwar beim Sprechen, die Sprachgeneratoren der