Das wandernde Feuer
einem komplizierten Schachspiel die Rolle eines Bauern zu übernehmen hatte. Doch nur kurz; in mancher Hinsicht hatten es die Bauern leicht.
Aline entschloss sich rasch; sie sank vor dem König in einem angemessenen Knicks zu Boden. Als sie sich wieder aufgerichtet hatte, sagte sie: »Wir brauchen Euch, Großkönig. Audiart bittet Euch zu bedenken, wie selten wir Eure Hilfe in Anspruch nehmen, und aus diesem Grund unser Begehren gnädig zu erwägen.«
»Zur Sache!« knurrte der Großkönig. Shalhassan, der direkt hinter ihm stand, nahm lebhaften Anteil am Geschehen. Derzeit ging es um nichts anderes als darum, wer die Oberhand behielt.
Abermals warf Aline Jaelle einen Seitenblick zu, und wieder erhielt sie keine Unterstützung. Sie leckte sich die Lippen. Dann fuhr sie fort: »Wölfe. Größer, als eine von uns je gesehen hat. Es sind Tausende, Großkönig, in dem Wald nördlich des Leinansees, und sie fallen des Nachts über die Bauerngehöfte her. Die Gehöfte Eures Volkes, mein Herr und König.«
»Morvran?« fragte Jaelle barsch. »Was geht das uns an?«
Aline schüttelte den Kopf. »Sie sind in der Nähe der Stadt gesehen worden, aber noch nicht auf dem Tempelgelände, Hohe Frau. Wäre das der Fall gewesen, soll ich Euch sagen, dann –«
»Dann wären die Mormae mit mir in Verbindung getreten, um es mir mitzuteilen. Audiart«, murrte Jaelle, »ist der Inbegriff der Schlauheit.« Sie warf den Kopf in den Nacken, und ihr langes rotes Haar rieselte wie ein Wasserlauf über ihren Rücken.
Ailerons Augen leuchteten im Fackelschein. »Sie will, dass ich komme und sie ihr zuliebe aus dem Weg räume? Was hat die Hohepriesterin dazu zu sagen?«
Jaelle würdigte ihn keines Blickes. »Hier geht es«, bemerkte sie, »um Eure Hüterin, nicht um meine zweite, Aileron, meine Stellvertreterin.«
Nun herrschte Schweigen, und dann erklang ein höfliches Räuspern, und Paul Schafer trat vor Audiarts Botin.
»Einen Augenblick«, bat er. »Aileron, du hast davon gesprochen, die Wölfe aus dem Weg zu räumen. Aber es könnte mehr bedeuten.« Er hielt inne, dann fuhr er fort: »Aline, hält Galadan sich im Leinanwald auf?«
In den Augen der Priesterin stand Furcht zu lesen. »Daran hatten wir noch gar nicht gedacht. Ich weiß es nicht.«
Demnach war die Zeit gekommen. Dies war, wenn überhaupt, das Stichwort für ihr Eingreifen. Kim versuchte ihr Gesicht unter Kontrolle zu bekommen, und noch während sie dabei war, schweifte Ailerons Blick auf der Suche nach ihr herüber.
Ob sie sich wohl je daran gewöhnen würde? Hatte Ysanne sich je eingelebt in dieses ständige Hin und Her auf dem Webstuhl der Zeit? Erst am vergangenen Abend war sie, ruhelos und Jennifers wegen tieftraurig, in Halbschlaf gesunken und in einen verschwommenen, unwirklichen Traum von einer Jagd in einem Wald, irgendeinem Wald, irgendwo, und von einem rasch dahineilenden Donnergrollen dicht über dem Erdboden.
Sie stellte sich dem Blick des Königs. »Da ist etwas«, erklärte sie und zwang ihre Stimme, entschieden zu klingen. »Oder vielmehr jemand. Ich habe eine Jagd gesehen.«
Aileron lächelte. Er wandte sich an Shalhassan und an Arthur neben ihm. »Sollen wir drei in Gwen Ystrat die Wölfe der Finsternis jagen gehen?«
Der gestrenge König von Cathal nickte, und auch Arthur zeigte sich einverstanden: »Es wird uns gut tun, gerade jetzt einen Feind zu haben, dem wir den Garaus machen können.«
Er hatte mehr sagen wollen, wusste Kim, als Aileron herausgehört hatte, doch ihr blieb jetzt kein Raum für ihre Sorgen, da ihr bei Ailerons Worten ein weiteres Erlebnis aus ihrem Traum verständlich wurde.
»Es wird mehr werden als eine Jagd«, warnte sie leise. Es war für eine Seherin nicht erforderlich, laut zu sprechen. »Ich werde mitkommen, und Loren, und Jaelle, wenn sie dazu bereit ist.«
»Warum?« Es war Paul, der diese herausfordernde Frage stellte, gebeugt unter seiner eigenen Last, die sie in seinen Augen ausmachen konnte.
»Ich habe von dem Blinden geträumt«, erläuterte sie. »Gereint von den Dalrei wird sich morgen nach Morvran aufmachen.«
Darauf erhob sich ein Raunen im Saal. Es war, nahm sie an, beunruhigend für die Menschen, wenn ihnen so etwas zu Ohren kam. Dagegen konnte und wollte sie im Augenblick nicht viel tun. Sie war sehr erschöpft, und die Lage würde in Zukunft nicht etwa leichter werden.
»Dann werden wir morgen aufbrechen«, entschied Aileron. Loren sah zu ihr hinüber.
Sie schüttelte den Kopf, strich sich dann
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