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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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das Ende naht , hatte er zu dem Zwerg gesagt.
    Sollte der Winter je weichen. Metran.
     
    Die Nacht kam und mit ihr ein Sturm, schlimmer als alle vorausgegangenen. Der Wind brach heulend und pfeifend aus der Ebene über das Großkönigtum herein, und er schob eine Schneewand vor sich her. Sie begrub Gehöfte und Bauernhöfe. Sie deckte die Wälder zu, sie verfinsterte den Mond, und in der unmenschlichen Dunkelheit schienen grauenerregende Gestalten unterwegs zu sein, und das Heulen des Windes war ihr Gelächter.
    Darien lag horchend in seinem Bett. Zunächst hatte er geglaubt, einen Alptraum zu erleben, aber dann wusste er, dass er hellwach war. Und Angst hatte. Er zog sich die Decke über den Kopf, um so vielleicht die Stimmen zu dämpfen, die er im Wind hörte.
    Sie riefen nach ihm. Riefen, er solle kommen und draußen in der Wildnis, im Finsteren, im tanzenden Sturm mit ihnen spielen. Ihnen in diesem zerstörerischen Wind und Schnee Gesellschaft leisten. Aber er war bloß ein kleiner junge und fürchtete sich, und er würde den Tod finden, wenn er nach draußen lief. Obwohl der Sturm nicht so heftig war, wo sie sich befanden.
    Finn hatte ihm das erklärt. Obwohl Dariens wahre Mutter nicht hier bei ihnen sein konnte, so beschützte sie ihn doch die ganze Zeit, und sie machte den Winter um sein Bett herum erträglicher, weil sie ihn lieb hatte. Alle hatten sie ihn lieb, Vae, die seine Mutter war, und sogar Shahar, der sein Vater war und nur einmal vor ihrem Umzug an den See aus dem Krieg heimgekehrt war. Er hatte Darien hochgehoben und ihn zum Lachen gebracht. Dann hatte er bemerkt, Dari werde bald größer sein als Finn, und er hatte ebenfalls gelacht, wenn auch kein belustigtes Lachen.
    Finn war sein Bruder, und er hatte Dari von allen am liebsten, und er war der wunderbarste Mensch auf der Welt, und obendrein wusste er alles.
    Es war Finn, der ihm erklärt hatte, was der Vater gemeint hatte, als Dari danach weinend zu ihm gelaufen kam, weil darin etwas Unrechtes lag, dass er eines Tages größer als Finn werden sollte. Bald, hatte der Vater gesagt.
    Finn hatte ihm Mantel und Stiefel angezogen und ihn nach draußen getragen, um mit ihm spazierenzugehen. Dari mochte das am allerliebsten. Finn warf dann Dari in den Schnee, aber nur dort, wo er frisch gefallen und weich war, und sprang selber hinterher, so dass sie beide rundum weiß wurden, wenn sie sich darin wälzten und alberten, und Dari musste so schrecklich lachen, dass er einen Schluckauf bekam.
    Dieses Mal jedoch war Finn ernst geblieben. Manchmal war er einfach ernst und sorgte dafür, dass Dari ihm zuhörte. Er sagte, Dari sei anders als die anderen kleinen Jungen. Er sei etwas Besonderes, weil seine wahre Mutter etwas ganz Besonderes sei, und deshalb würde er größer und stärker und schlauer als alle anderen jungen werden. Sogar als Finn, sagte Finn. Und das hieße, sagte Finn, dass Dari auch ein besseres Kind sein müsse, er müsse freundlicher sein und zartfühlender und obendrein tapferer, damit er auch verdiene, was seine wahre Mutter ihm mitgegeben habe.
    Er müsse versuchen, allem mit Liebe zu begegnen, sagte Finn, mit Ausnahme der Finsternis.
    Die Finsternis war es, die den Sturm draußen hervorrief, wusste Dari. Und die meiste Zeit über hasste er sie, wie Finn gesagt hatte. Er versuchte es auch die ganze Zeit, versuchte es Finn gleichzutun, aber manchmal hörte er die Stimmen dort draußen, und obwohl sie ihm die meiste Zeit angst machten, machten sie ihm eben manchmal keine. Manchmal dachte er, es könnte nett sein, ihnen zu folgen.
    Nur dass das heißen würde, Finn zu verlassen, und das würde er niemals tun. Er krabbelte aus dem Bett und stülpte seine Hausschuhe über. Er zog den Vorhang beiseite und tappte, vorbei an seiner schlafenden Mutter, zur gegenüberliegenden Wand hinüber, wo Finns Bett stand.
    Finn war wach. »Wo bist du nur so lang geblieben?« flüsterte er. »Komm rein, kleiner Bruder, wir wollen einander warm halten.« Mit einem begeisterten Seufzer streifte Dari seine Schuhe ab und krabbelte neben Finn, der seinerseits ein Stück beiseite rückte und Dari die warme Stelle überließ, wo er gelegen hatte.
    »Da sind Stimmen«, sagte er zu Finn.
    Sein Bruder antwortete nichts. Legte bloß den Arm um Dari und hielt ihn ganz fest. Hier waren die Stimmen nicht so laut, wenn er neben Finn lag, und während er hinüberdämmerte, hörte Dari, wie Finn ihm ins Ohr flüsterte:
    »Ich hab’ dich lieb, Kleiner.«
    Dari hatte ihn auch

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