Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
Vom Netzwerk:
und dann, indem sie seinen Kopf an sich zog, geflüstert, so dass kein anderer es hören konnte: »Pass du an meiner Stelle auf ihn auf. Solange du kannst.«
    Solange du kannst. Und bei diesem Gedanken trat, so als hätte sie, wie ärgerlich, nur auf ihr Stichwort gewartet, Leila in sein Bewusstsein.
    Was willst du? sendete er und ließ sie seine Gereiztheit spüren. Zu Anfang, nach dem letzten Ta’kiena, als sie entdeckt hatten, dass sie das konnte, war es ein geheimes Vergnügen gewesen, sich ohne Worte mit ihr zu verständigen. Doch neuerdings hatte Leila eine Wandlung durchgemacht. Finn war klar, dass das mit ihrem Übergang vom Mädchen zur Frau zu tun hatte; doch dieses Wissen trug nicht dazu bei, dass ihm die Bilder behagten, die sie ihm aus dem Tempel schickte. Sie hinderten ihn des Nachts am Schlafen, und beinahe hatte es den Anschein, als gefiele es Leila, ihn wach zu halten. Sie war jünger als er, über ein Jahr jünger, aber nie, nie hatte er sich Leila an Jahren voraus gefühlt.
    Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sie wissen zu lassen, dass ihn dies oder jenes ärgerte, und einfach nicht zu antworten, wenn sie ihm Gedanken von größerer Intimität sandte, als er bewältigen konnte. Wann immer er so reagierte, pflegte sie nach einer Weile zu verschwinden. Dann tat es ihm jedes Mal leid.
    Heute jedoch war er schlecht gelaunt, daher war die Frage, die er ihr übermittelte, als er sich ihrer Gegenwart bewusst wurde, scharf und abweisend.
    Spürst du es auch? fragte Leila, und sein Herz setzte vorübergehend aus, weil er zum allerersten Mal bei Leila Angst wahrnahm.
    Die Angst anderer Menschen machte ihn stark, damit er sie beruhigen konnte. Er übermittelte: Mir ist ein wenig unbehaglich zumute. Woher kommt das?
    Und dann fing sein Leben an, zu Ende zu gehen. Denn Leila sendete: Oh Finn. Oh Finn, Finn, Finn, und mit diesen Worten ein Bild.
    Vom Ta´kiena-Spiel auf der Wiese, damals, als sie ihn erwählt hatte.
    Das war es nun also. Einen Augenblick lang verzagte er und konnte dieses Gefühl nicht vor ihr verbergen, doch der Augenblick ging vorüber. Während er auf den See hinausblickte, holte er einmal tief Luft und stellte fest, dass seine Unruhe verflogen war. Er war zutiefst ruhig. Er hatte lange Zeit gehabt, sich hiermit abzufinden, und er wartete seit langer Zeit darauf.
    Es ist gut, teilte er Leila mit, ein wenig überrascht, als er merkte, dass sie weinte. Wir wussten doch, dass es so kommen würde.
    Ich bin noch nicht soweit , hörte er Leila in seinem Kopf.
    Das fand er ein wenig komisch: von ihr verlangte doch keiner etwas. Aber sie fuhr fort: Ich bin noch nicht soweit, dir Lebewohl zu sagen, Finn. Ich werde ganz allein sein, wenn du gehst.
    Du hast doch die anderen im Heiligtum.
    Sie sandte ihm keine Antwort. Er nahm an, dass ihm etwas entgangen sei, dass er etwas nicht richtig verstanden habe. Doch daran war im Augenblick nichts zu ändern. Und obendrein gab es da noch jemanden, der ihn weit heftiger vermissen würde.
    Leila , übermittelte er. Pass auf Darien auf.
    Wie denn? wisperte sie in seinem Kopf.
    Das weiß ich nicht. Aber er wird es mit der Angst zu tun bekommen, wenn ich fortgehe, und … . er hört Stimmen im Sturm, Leila.
    Sie schwieg, jedoch auf andere Weise als zuvor. Die Sonne verschwand hinter einer Wolke, und er bekam den Wind zu spüren. Es war an der Zeit, etwas zu unternehmen. Er war sich nicht bewusst, woher er das wusste, nicht einmal, wohin er sich wenden sollte, doch dies war der Tag, und die Stunde nahte.
    Lebwohl , sandte er.
    Der Weber möge dir Erleuchtung gewähren , hörte er sie noch sagen, mitten in seinem Kopf.
    Und dann war sie nicht mehr da. Während er zur Hütte zurückging, hatte er bereits eine genügend klare Vorstellung von dem Weg, der ihm zugedacht war, um zu wissen, wie wenig Aussicht bestand, dass ihr letzter Wunsch in Erfüllung gehen würde.
    Es war lange her, dass er den Entschluss gefasst hatte, seine Mutter nicht zu unterrichten, wenn die Zeit nahte. Das würde sie zerschmettern, wie ein Hammer einen Riegel zerschmettert, und es bestand keine Notwendigkeit, ihr oder sich selber das anzutun. Er ging hinein und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange, dort am Feuer, wo sie saß und webte.
    Sie lächelte zu ihm auf. »Schon wieder ein Wams für dich. Mein heranwachsender Sohn. Und diesmal braun, damit es zu deinem Haar passt.«
    »Danke«, sagte er. In seinem Hals steckte ein Kloß. Sie war so klein und würde ganz allein sein, da sein

Weitere Kostenlose Bücher