Das war eine schöne Reise
Mallorca aufgegeben zu haben. Wenn es mit der Reise auch noch gute Weile hatte, so gingen die Wochen doch rasch dahin.
Und so kam endlich der Tag heran, an dem Otto Lobedanz sich von den Chefs und von den Kollegen verabschieden und daheim den Haupthahn der Gasleitung schließen und die elektrischen Sicherungen aus ihren Fassungen schrauben konnte, während seine Mutter noch einmal durch die Wohnung ging und die Polstermöbel und Teppiche mit Mottengift einsprühte. Und dann wurde die Wohnung abgeschlossen, und Otto Lobedanz schleppte drei
Koffer zur Trambahnhaltestelle, einen kleinen, der ihm gehörte, und zwei große, die Frau Lobedanz für sich randvoll gestopft hatte.
»Was schleppst du bloß alles mit?« keuchte er.
»Wir fahren ja schließlich nicht in den Stadtwald zum Blaubeerenpflücken!« sagte sie und fügte hinzu, gerade gestern hätte sie in der Zeitung gelesen, man hätte als Deutscher die Pflicht, sein Vaterland im Ausland würdig zu vertreten. Jeder Reisende solle daran denken, daß er sozusagen Botschafter seines Landes sei...
Otto Lobedanz mußte mit den Koffern auf die vordere Plattform, während seine Mutter gleich neben der Tür einen Sitzplatz erwischte. Jedes Mal, wenn der Schaffner die Tür öffnete, um vom zu kassieren, rief sie ihrem Sohn etwas anderes zu: Ob er seinen Reisepaß auch nicht vergessen habe? Dabei hatte sie die Pässe in der Handtasche. Oder ob er die Kofferschlüssel auch gut verwahrt habe? Und ob er, um Himmels willen, nicht etwa die Schlafwagenkarten daheim gelassen habe?
Es war keine Spur von Nervosität oder gar Sorge dabei, ihr Otto könne wirklich etwas übersehen haben. Sie wollte nur ein wenig angeben, und schließlich erbarmte sich denn auch einer der Fahrgäste mit ihr und fragte sie, wohin die Reise denn ginge.
»Ach Gott«, flötete sie mit spitzem Mund, »dieses Mal nach Italien, an die Adria, nach Rimini, um es ganz genau zu sagen...«
Sie kamen eine gute halbe Stunde zu früh auf dem Hauptbahnhof an, und der Schaffner an der Sperre, den Frau Lobedanz um Auskunft bat, erklärte ihr, der Feriale-Expreß Richtung Brenner-Verona stände noch draußen auf dem Abstellgleis und würde erst eine Viertelstunde vor Zugabfahrt einfahren. Und er würde den Herrschaften empfehlen, noch ein anständiges Pilsner zu trinken, denn in Italien heiße das Bier birra, und genauso schmecke es auch.
»Ich finde, er hat recht«, sagte Otto, »wir sollten wirklich noch ein kleines Helles zischen. Mir klebt der Rücken vor lauter Kofferschleppen...«
»Soll ich vielleicht mit meinem Rheumatismus...?«
»Nein, nein, nein, natürlich sollst du nicht«, sagte er leicht gereizt, »aber ich habe einfach Durst.«
»Bitte sehr, wenn du schon jetzt mit dem Geldausgeben anfangen willst... Geh ruhig, ich bleibe bei den Koffern in der Halle. Es ist ja schließlich dein Geld. Zweihundert Mark für zwei Personen und siebzehn Tage...Nun, ich finde, die hätten ruhig etwas großzügiger sein können.«
Er verschluckte die Antwort, die ihm auf der Zunge lag, und löschte seinen Durst mit einem Pfefferminzbonbon. In der menschenüberfüllten Schalterhalle fand Frau Lobedanz ein ruhiges Plätzchen neben dem Zeitungskiosk unter einer Reklamewand. Das hübscheste Plakat hing genau über dem Platz, wo er die Koffer abstellte. Es stellte eine junge Dame mit atemberaubenden Formen dar, die sich an einem südlichen Palmenstrand unter azurblauem Himmel den Wonnen von Luft, Licht und Wasser hingab. Auf ihren nußbrauen Schultern blitzten Tropfen wie Diamanten und rannen zärtlich zu jenen Kurven hinunter, die ein weißer Bikini nur sehr unvollständig verhüllte. Und darüber stand ein Wort wie aus weißen Wölkchen gebildet: M A L L O R C A. Otto Lobedanz schloß die Augen. Für einen Augenblick sah er richtig vergrämt aus.
»Es weiß doch hoffentlich niemand, daß wir die Reise nur gewonnen haben, Otto!« sagte Frau Lobedanz ängstlich. »Nichts wäre schlimmer, als wenn man uns wie arme Verwandte behandeln würde...«
Zum Glück dröhnte es in diesem Augenblick aus dem Lautsprecher, daß der Feriale-Expreß auf Bahnsteig zehn soeben eingefahren sei. Es war ein imponierender Zug mit einem runden Dutzend riesiger Wagen, königsblau lackiert und blitzend vor lauter Nickel und Chrom. Pagen in helblauer Livree schwirrten auf dem Bahnsteig herum, adrett wie Seekadetten und so fabelhaft höflich um das Wohl der Reisenden besorgt, als hätten sie es mit lauter Schwachsinnigen oder Königen zu tun. Einer
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