Das war eine schöne Reise
einer Thermosflasche viele Päckchen in Cellophan und Pergamentpapier befanden, durch die schmale Abteiltür hindurchzuquetschen. Sie strebte zu einem der Fensterplätze. Das Netz mit den vielen Päckchen streifte die Nase von Otto Lobedanz, und plötzlich roch das ganze Abteil nach kalten Bouletten.
Drüben unterdrückte Fräulein Sonntag ein Kichern, und Herr von Berg machte ein Gesicht, als würge er einen Regenwurm hinunter. Otto Lobedanz hatte nichts gegen kalte Bouletten und er hatte auch nichts gegen dicke Leute, denn nach seiner Erfahrung gönnten sie sich etwas und ließen auch andere leben. Von seinen beiden Chefs hatte Herr Klampmann einen Bauch wie ein Faß, er nahm seine Leute tüchtig heran, aber er knauserte nicht und ließ bei Betriebsfeiern etwas springen. Spiller dagegen war dünn wie eine Bohnenstange und nörgelte an allem herum, und am Ultimo, wenn die Gehälter gezahlt wurden, lief er den ganzen Tag mit einem Gesicht herum, als ob ihn seine Frau die letzte Nacht über in Essig eingelegt hätte.
Die Dicke hängte die Netze an die Haken und stellte die Bügelhandtasche auf den Boden. Sie wippte ein wenig auf der Polsterbank und zog ihren grauen Kostümrock glatt: »Nun, ich muß sagen, Platz hat man genug, auch wenn man nicht gerade die Figur von einem Mannequin besitzt. Zu sechsen sitzen wir hier, nicht wahr? Mein seliger Pütterich hatte eine prima Masche, das Abteil leer zu halten. Wenn wir verreisten, dann bestellte er immer unsere Waschfrau auf den Bahnhof. Frau Muschelknauz hieß die gute Seele. Der Mann war Maurer. Ich möchte bloß wissen, wann der gemauert hat. Immer war bei den Leuten was Kleines gerade gekommen oder unterwegs. Eine halbe Stunde vor Zugabgang schickte mein Pütterich unsere Frau Muschelknauz auf den Bahnhof und ließ ein Abteil von ihr mit ihren acht oder neun Gören besetzen, bis der Zug abfuhr. Da hatte man Luft und Fensterplätze! Köpfchen, was? Ja, so war der selige Pütterich. Der Mann hatte Einfälle, wenn er auch nur ein ganz kitzekleines Männchen war. So etwas Zartes von Mann, da machen Sie sich keine Vorstellung. Dem waren noch die Fettrationen zuviel, die es im Krieg auf Marken gab. Dorchen, sagte er immer, wenn wir im Luftschutzbunker saßen, um mich brauchst du nicht zu zittern, mich kann nichts treffen, dazu bin ich viel zu winzig. Zitter lieber um dich selber, denn bei dir ist das ganz was anderes. So war der Mann. Immer witzig und guter Laune. Aber was soll ich Ihnen lange erzählen? Zum Schluß hat es ausgerechnet meinen kleinen Pütterich erwischt, und mich haben sie lebend aus den Trümmern gezogen. Was sagen Sie nun?«
»Gratuliere!« knirschte Herr von Berg über den Rand seiner Zeitung hinweg. Fräulein Sonntag sah aus, als würde sie im nächsten Moment explodieren, und Otto Lobedanz schneuzte sich so heftig in sein Taschentuch, daß ihm die Tränen über die Wangen liefen.
»Danke«, sagte Frau Pütterich arglos, »und ich müßte lügen, wenn ich sagen wollte, daß ich nicht gern lebe. Damals wußte man ja nicht, ob man viel Grund zur Freude haben würde. Sie sollten mal ein Bild von mir aus jener Zeit sehen! Nichts als Haut und Knochen. Aber als es dann wieder Schlagsahne und Buttercremetorten gab...Was meinen Sie, wie lange ich brauchte, um wieder zu meiner alten Figur zu kommen?« — Sie sah dabei Otto Lobedanz fragend an.
»Ein Jahr...?« murmelte er höflich.
»In sechs knappen Monaten hatte ich alles wieder ‘raufgepackt!« rief Frau Pütterich mit einer Stimme, in der sich Stolz, eine so gute Futterverwerterin zu sein, und Schmerz mischten. »Ein Jammer, daß mein Pütterich das nicht mehr erleben durfte. So klein wie er war, so sehr liebte er das mollig Üppige. Komisch, nicht wahr, daß kleine Männer fast immer auf große, stramme Frauen fliegen...«
»Ich meine«, fiel Frau Lobedanz ein wenig schrill ein, »es müßte doch an der Zeit sein, daß wir endlich abfahren. Schau doch einmal auf deine Uhr, Otto!«
»Noch drei Minuten...«, keuchte Otto Lobedanz hinter seinem Taschentuch.
Frau Pütterich beugte sich vor und musterte die beiden interessiert: »Sind Sie etwa Mutter und Sohn?«
»Allerdings!« erwiderte Frau Lobedanz mit einiger Schärfe, »stört Sie etwas daran?«
»Aber ich bitte Sie, nein, nein, ich finde es nur, hihihi, ein wenig ungewöhnlich. Meine Schwester Selma nämlich, die mit einem Rechtsanwalt verheiratet ist, hat auch einen Sohn. Emil heißt der Junge. Ein Windhund, wie er im Buch steht. Mich pumpt er
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