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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristof Magnusson
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Kaufhaus, angesichts der Weihnachtsdekoration, an der ein Heer von Künstlern das ganze Jahr über gearbeitet hatte, konnte ich vor lauter Aufregung kaum noch atmen. Drinnen musste meine Mutter mich durch die Massen manövrieren, da ich fast die ganze Zeit den Kopf im Nacken hatte, an den Galerien emporsah und die Deckenmosaiken bestaunte. Meine Mutter kaufte Zigarren für meinen Vater, ich kaufte Frango-Minztäfelchen für meine Mutter, wobei die Papiertüten von Marshali Field's mir mindestens genauso wertvoll erschienen wie deren Inhalt. Dann aßen wir im Walnut Room die köstliche Frango-Minztorte. Meiner Mutter gelang es immer, einen Platz am Fenster zu bekommen, von dem ich, wenn meine Nase fast die Scheibe berührte, die Leuchtreklame des Theaters an der Ecke State Street/Monroe Street sehen konnte.
    Ich wühlte mich auf der Michigan Avenue durch die Massen von Menschen mit gesenktem Blick, vorbei an den winterlichen Straßenbäumen, die ihre schwarzen Äste in den Himmel erhoben, als wollten sie ihre Blattlosigkeit beklagen, und doch deprimierte diese trostlose Szenerie mich nicht. Im Gegenteil, sie hob meine Laune derart, dass ich beschwingt Richtung Süden ging, ich hüpfte durch ein Meer von Tristesse.
    Wieder und wieder sah ich mich um, ob mir jemand folgte, aber das schien nicht der Fall zu sein. Der Verlag hatte anscheinend keine Ahnung, wo ich war - ich sollte es ihnen etwas einfacher machen. Deswegen ging ich nun in den Walnut Room, denn da würden sie mich finden, und seit ich das Bild in der Tribune gesehen hatte, wünschte ich mir nichts sehnlicher als das. Zu gern würde ich Gracy das Foto von dem verzweifelten Business-Boy zeigen, diese wunderbare Inspiration, die dafür sorgen würde, dass ich bald wieder schreiben konnte. Ich musste das einfach mit jemandem teilen.
    Ich bog in die Monroe Street ein und betrat das Kaufhaus, wie immer durch den Seiteneingang. Die Leute kauften hier seit über 1OO Jahren ein, für amerikanische Verhältnisse also seit dem Pleistozän. Als Marshall Field's 2006 von der Kette Macy's gekauft und in Macy's on State Street umbenannt wurde, war das für viele geschichtsbewusste Chicagoer so, als würde das Kolosseum in Rom in Fiat-Arena umbenannt. Eine Allianz aus Kapitalismuskritikern und Denkmalschützern hatte protestiert und wollte mich breitschlagen, ihre Boykottaufrufe zu unterstützen, aber ich antwortete nur: »Habt euch nicht so, das ist ein Kaufhaus, mein Gott!« Die Tatsache, dass sich hier alles veränderte, machte es mir erst möglich, diesem erinnerungsbeladenen Ort treu zu bleiben.
    Den Monroe-Street-Eingang benutzte ich, weil ich von hier nur die Handtaschenabteilung durchqueren musste und direkt in den Expressfahrstuhl steigen konnte, der mich mit einem altmodischen hing hing hing hing hing hing direkt in den siebten Stock brachte. Diesmal jedoch stieg ich beim dritten hing aus und kaufte mir bei Thomas Pink ein Business-Outfit, irgendwas sportlich Geschnittenes mit Nadel streifen, und einen Boss-Mantel. Dann machte ich mich auf den Weg in den Walnut Room, gespannt, wer vom Verlag mich ansprechen würde, vielleicht gar Gracy selbst?
    Doch ich sah keine Baiser-Frisur, keine Comme-des-Garcons-Handtasche. Aber einer der Menschen, die hier zwischen dem Brunnen und den aus den Ecken herauswedelnden Zimmerpalmen saßen, musste doch vom Verlag sein. Groß war die Auswahl nicht. Der Rentner, der Kaffee trank und die New York Times las, schied aus, und abgesehen von ihm war eigentlich nur noch eine Gruppe von Damen mit Haarfarben zwischen Weiß und Violett und großen, getönten Brillen hier, die in der Nähe des Brunnens unter der Rotunde saßen, Eistee tranken und durch die kostenlosen Informationsbroschüren von Macy's blätterten. Verlagsmitarbeiterinnen sahen anders aus.
    »Guten ... Morgen«, sagte die Kellnerin. Sie zögerte kurz, da sie mich seit 20 Jahren mit »Guten Tag« begrüßte; normalerweise kam ich ja erst um eins und kreuzte nicht, wie heute, bereits halb zehn hier auf. Um sie nicht weiter zu verwirren, bestellte ich dasselbe wie immer: eine Cola light und einen Salat mit Ziegenkäse. Das war das Gute hier, ich bestellte immer das Gleiche, und doch kam mir nie jemand mit einem »Wie immer?«. Als sie die Cola und den Salat brachte, lag wie immer ein getoastetes Bialy daneben, die Butter gerade weit genug davon weg, dass sie nicht schon in der Verpackung durch die Toasthitze schmolz.
    »Hat jemand nach mir gefragt?«
    »Nein.« »Heute nicht?«

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