Das War Ich Nicht
Rutherford & Gold Passwörter von Kollegen an das ganze Team verschickt wurden. Doch es musste sein. Wenn einer krank war oder im Urlaub, musste ja auch jemand weiterarbeiten. Als Ausgleich dafür hatte der Systemadministrator eingeführt, dass jeder einmal pro Woche sein Passwort ändern musste. Was das System auf der einen Seite sicherer machte, auf der anderen Seite dafür sorgte, dass nun alle noch sorgloser mit ihren Passwörtern umgingen: änderten sich ja eh dauernd.
Suzanne sah kurz zu mir herüber und lächelte wieder. Ich lächelte zurück. Bald würde es losgehen mit den Anrufen von Chris' Kunden. Karrieresprung. Ich sah in die Schublade. Die 48er-Packung mit Snickers war noch fast voll. Ich stand auf. Nur noch kurz am Wasserspender meine Flasche füllen, dann war ich bereit.
Auch als ich den Gang in Richtung Drehtür runterging, kam es immer wieder vor, dass Kollegen aufsahen und mich anlächelten. Setzte ich entschlossener einen Schritt vor den anderen? Begleiteten die Arme meinen Gang exakter als sonst, als wüsste ich genau, wo ich hinwollte, generell, im Leben, und nicht nur gerade zum Wasserspender?
Kurz vor der Drehtür stand links der große, auf dem Kopf stehende Behälter aus blauem Plastik, aus dem ich mir täglich meine Flasche mit gekühltem Wasser füllte. Ich bückte mich, um sie unter den Hahn zu halten und drückte auf den wackeligen Hebel. Obwohl der Wasserspender leer aussah, füllte die Flasche sich, wenn auch langsamer als sonst. Während es dumpf in dem Plastikbehälter blubberte, sah ich an die Wand hinter dem Wasserspender, an die die Kollegen manchmal lustige Dinge hängten - einen Dilbert-Comic oder ein lustiges Bild aus der Zeitung, wie heute -, und ließ den Hebel so plötzlich los, dass er hart gegen das Plastikgehäuse schlug. Ein Foto aus der Chicago Tribune hing da. Meine Flasche kippte, in letzter Sekunde fing ich sie auf. Es war ein Foto von mir.
Mit leerem Blick und einer Hand vor dem Mund sah ich in die Ferne, ohne etwas Bestimmtes zu fixieren. Der Fotograf hatte sich genau so hingestellt, dass hinter mir einer der großen Monitore zu sehen war, auf dem der Chart von irgendeinem Indikator für irgendwas abschmierte.
Mir fiel ein, dass die Presseabteilung letzte Woche angekündigt hatte, dass Fotografen bei uns unterwegs waren. Ich hatte nichts weiter drauf gegeben. Es war ein ganz normaler Handelstag gewesen, ohne große Verluste. Ich war einfach müde gewesen. Deswegen hatte ich für einen Moment so dumm in die Gegend geglotzt, gleichgültig, als würde ich mir eine Fernsehwerbung ansehen. Doch mit dem abschmierenden Chart dahinter sah es so aus, als sei ich am Boden zerstört. Ich. Verzweifelt. Im Wirtschaftsteil der Tribune. Von Hand hatte jemand darunter geschrieben: Sogar ein guter Tag ist für mich ein schlechter Tag.
Wieder spürte ich meinen Magen. Jetzt tat er weh. Als wäre jemand drauf getreten wie auf eine Getränkedose. Dann sah ich, wie unser Trainee Jeff auf mich zukam. Er grinste nicht. Stellte sich vor den Wasserspender, wollte sich gerade bücken, als er das Foto sah.
»Verschissene Fickschweine«, sagte er dann und begann, seine Wasserflasche zu füllen. Seit einiger Zeit versuchte er, sich als Proll zu profilieren. Seit seinem Einstieg hier hatte sich die Häufigkeit, mit der er Schimpfwörter benutzte, verdreifacht. Das Wort fuck musste er inzwischen als Substantiv, Verb und Adjektiv einsetzen, um es in den wenigen Sätzen, die er sprach, oft genug unterzubringen.
»Hast du meine Nachricht auf Facebook gelesen?«, fragte ich.
»Hast du da was geschrieben?«
»Ja.«
»Facebook ist scheiße«, sagte er und verfolgte den steigenden Pegel in seiner Wasserflasche, gebückt, um den blauen Hebel des Wasserspenders gedrückt zu halten.
»Du warst aber online«, sagte ich.
»Facebook ist scheiße«, wiederholte er, und ich nickte, obwohl er mich nicht ansah.
»Sag mal, weißt du, was das sollte mit dem «, ich dachte an das Foto aus der Tribune, sagte dann aber » mit Chris?«
»So eine verschissene Fickscheiße. Der Wichser hätte sich doch denken können, dass dieser Anruf ein Fake war. «
»Anruf?«
»Neely hat einen verschissenen Anruf von einem Headhunter bekommen, der gefragt hat, ob er mit seinem Job zufrieden ist.«
»Und was hat er gesagt?«, fragte ich.
»>Sehr zufrieden. Im Prinzip<, hat er gesagt. Dann hat der Scheißheadhunter ihm seine beschissene Telefonnummer gegeben, damit er ihn abends zurückrufen kann, falls er doch
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