Das War Ich Nicht
der Weg frei war. Für mich. Es würde ihn freuen, was sein Sohn für eine Karriere hinlegte. Sein Sohn, der keine Probleme hatte, sondern nur Herausforderungen - der nicht einsam war, sondern auf das Wesentliche konzentriert.
Ich hatte nicht immer davon geträumt, Trader zu werden.
Hatte mich eigentlich nie für Banken oder Börse interessiert, nicht während meiner Kindheit und Jugend in Bochum und auch nicht während des Studiums. Meine Mutter arbeitete als Sozius in der Kanzlei Meyer, Lüdemann und Meyer, ich ging zum Kindergarten, zur Schule, zum Schach, studierte Mathe an der potthässlichen Ruhr-Uni. Das war die Vergangenheit. Nach dem Studium bekam ich einen Job im Frankfurter Büro von Rutherford & Gold. Es hätte auch ein anderer Job sein können, aber bei mir war es nun mal dieser. Bald danach kam ich in die Zentrale nach Chicago. Ins Back-Office, wo wir die Händler kontrollierten und auch irgendwie belächelten: die Händler, die »Jungs auf der Hühnerstange«, die schwitzend die Finanzmärkte voran ruderten, sich mit Junkfood vollstopften und im Bezug auf Freizeit niemals Ausdrücke verwendeten wie »die Seele baumeln lassen«, sondern eher so was wie »Eierschaukeln«.
Die Arbeit im Back-Office hatte mich nie wirklich interessiert. Sitzungen in mit Kunst behängten Konferenzzimmern, Salat und Rückengymnastik in der Mittagspause mochten nett sein, eins waren sie auf jeden Fall: langweilig. Kein Vergleich mit dem intensiven Leben im Händlersaal, wo jede Sekunde zählte. Händler waren die Rockstars einer jeden Bank. Ich bewarb mich um einen Job als Rockstar. Wurde abgelehnt, bewarb mich noch mal. Wurde wieder abgelehnt, bewarb mich noch mal und endlich, nach drei Jahren im Back-Office, hatte es geklappt. Seitdem kannte ich keine Langeweile mehr.
Ich setzte mich an Premmö, spielte eine Stunde Schach.
Dann schenkte ich mir einen Whiskey ein und ging auf den Balkon. Diesmal hatte ich meinen BlackBerry zur Sicherheit dabei.
Ich erinnerte mich an den Moment, als Alex mit dem Sicherheitsmann an mir vorbeigegangen war. Chris. Ich hatte ihn immer beneidet. Er war richtig angekommen, in dieser Bank, in diesem Leben, und wusste, was er in seiner Freizeit tun konnte: feiern. Mit Kunden ausgehen. Nun musste jemand seinen Platz einnehmen. Ich ließ die Eiswürfel in meinem Whiskeyglas rotieren. Dann nahm ich einen großen Schluck.
MElKE
Da saß ich nun in meinem neuen Leben. Der Ofen heizte so sehr, dass ich alle Fenster hatte öffnen müssen, und meine Kleidung roch, als sei ich an einem Osterfeuer eingeschlafen.
Dabei hatte ich mir alles so schön vorgestellt, mein Leben mit Henry LaMarcks Lebenswerk, das gleichzeitig mein Lebenswerk war. Doch nun war ich auf dem Weg, eine Einsiedlerin zu werden, die sich irgendwie mit Büchern beschäftigte, und, was das Schlimmste war, meine Freunde hatten es geahnt. Regine, die mich als »literaturverrückt« bezeichnet und damit eigentlich »verrückt« gemeint hatte.
Bis Anfang dreißig ist es einfach, normal zu sein. Alle Probleme kann man unter postadoleszenten Überspanntheiten verbuchen und sich bei jeder Krise damit beruhigen, dass irgendwann alles anders sein wird. Besser. Dann kommt das Alter, in dem einem jugendliche Verzweiflung nicht mehr steht. Wer unter dreißig ist und viel trinkt, ist ein Partytyp, jenseits der dreißig ist man Alkoholiker; aus sympathisch verplant wird schnell verlebt. Jenseits der dreißig entscheidet sich, ob der Mensch, der man geworden ist, für die restlichen fünfzig Jahre taugt.
Meine Freunde hatten beruflich und privat ihren Platz gefunden, an einem ordentlich gedeckten Esstisch mit aus dem Abruzzen-Urlaub mitgebrachten Bio-Linsen, Wein-Kenner-Attitüde und Schokolade, die man nicht kauen durfte. Sie hatten mir mit ihren gelingenden Biografien vor der Nase herumgelebt und ganz selbstverständlich so getan, als sei ich eine von ihnen; dabei war ich einfach nur dabei. Nach Hamburg gab es kein Zurück. Und in der anderen Richtung kam nur noch das Meer.
Mein Blick fiel auf das blaue Bild, das Arthur mir zu meinem dreißigsten Geburtstag geschenkt hatte. Es lehnte an einer der Umzugskisten. Auch wenn ich es schäbig gefunden hätte, das Bild zurückzulassen - aufhängen wollte ich es deswegen noch lange nicht. Es gehörte zu Arthurs monochromen Arbeiten: panorama/vexir blau.G. Ganz monochrom war es natürlich nicht. Verschiedene Blautöne mischten sich in dem Bild, es gab Teile, die so tiefblau waren wie die Wetterkarte im
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