Das War Ich Nicht
das Bild einer schlanken Frau, zurückgelehnt in einem Massagesessel namens MediTouch. Mit geschlossenen Augen lag sie da, ein Badehandtuch um den Körper, ein anderes um den Kopf geschlungen. Ganz entspannt, ganz unabhängig.
Positiv ausgedrückt: Auch die Werbung war hier anders als in der Stadt, wo dafür geworben wurde, dass Dinge gebracht wurden, wie Sushi, oder abgeholt, wie kaputte Fernseher. Aber war anders wirklich besser?
Egal, dann kam das Manuskript eben später. Ich kochte gleich eine ganze Kanne Kaffee, um sie auf den inzwischen glühend heißen Kachelofen zu stellen und dort warm zu halten. Ich konnte warten, ich hatte ja Holz.
Mit Thorsten Fricke hatte ich ausgemacht, dass der Verlag mir das Honorar im Voraus überweisen würde, sobald ich mit der Arbeit begonnen hatte. Dann werde ich den ganzen Tag mit Henry LaMarck verbringen, nach zehn, zwölf, vierzehn Stunden in der perfekten Welt seiner Sprache einschlafen und eben dort wieder aufwachen.
Mein Mobiltelefon klingelte, zum ersten Mal in meinem Haus.
Ich wollte schon ran gehen, als ich auf der Anzeige eine Hamburger Nummer sah. Arthur konnte es eigentlich nicht sein, denn dessen Nummer hatte ich gespeichert und seinen Namen durch Nicht ran gehen ersetzt, dennoch duckte ich mich, während ich auf den Knopf mit dem grünen Hörer drückte.
»Hallo Meike«, sagte Thorsten Fricke. »Hast du meine Mails nicht gelesen? Natürlich hast du das nicht. Sonst hättest du mich längst angerufen.«
»Ich habe noch kein Internet hier.«
»Die brauchen ja ewig, um einen Internetanschluss freizuschalten bei dir da in Friesisch Sibirien.« »Sibirien! Es ist schön hier.«
»Man zieht doch nicht einfach so aufs Land, ohne Familie.« »Vielleicht kaufe ich mir ja ein Pferd!«, sagte ich.
»Gibt es da keine Internetcafes?«
»Nein.«
»Nicht mal einen Telefonshop für die ausländischen Erntehelfer? Oder wer auch immer da euren Spargel ... «
»Kohl.«
»Kohl«, sagte er, dann schwieg er. Wahrscheinlich versuchte er sich in seinem Büro beim Farnsdorff Verlag vorzustellen, wie es hier aussah. »Also, was ich dir geschrieben hatte«, sagte er dann und seine Stimme klang nun so, als hätte er sich diese Worte im Voraus zurechtgelegt. »Es gibt ein Problem mit dem neuen Buch. Henry hat nicht geliefert.«
»Nicht geliefert?«
»Es gibt kein Manuskript. Er ist, na ja, er scheint verschwunden zu sein.«
»Verschwunden. «
»Parker hat eine Überraschungsparty zu seinem Sechzigsten gemacht. Und er ist weggelaufen.«
»Henry LaMarck läuft doch nicht einfach so weg.«
»Auf jeden Fall ist er seitdem nicht mehr in seiner Wohnung aufgetaucht. «
Ich nahm den Roman Windeseile aus der Umzugskiste, auf die ich groß LaMarck geschrieben hatte, und sah mir das Autorenfoto an. Frontal fotografiert blickte Henry LaMarck durch eine schwarze Hornbrille in die Welt und forderte sie mit seriösem Autorenblick auf, seine Bücher zu lesen. Dieser Mann lief nicht weg.
»Sucht jemand vom Verlag nach ihm?« »Um Gottes willen!«
»Was?«
»Sie suchen natürlich nicht. Eigentlich hätte ich das noch nicht mal dir erzählen dürfen. Wenn die Öffentlichkeit das erfährt, ist hier Land unter. Niemand gibt einem Verschwundenen einen Pulitzerpreis.«
»Vielleicht ist er überfallen worden. Oder im Krankenhaus.« »Nun entspann dich mal. Er braucht einfach länger mit dem Buch, das ist alles. Sobald er fertig ist, taucht er bestimmt wieder auf.«
»Könnt ihr mir trotzdem schon den Vorschuss zahlen?« »Solange wir kein Manuskript von ihm haben? Nein.«
»Aber ich muss «, ich dachte an die erste Rate für den Kredit, die fällig war. »W irklich nicht?«
»Wenn es in der nächsten Woche nicht kommt, müssen wir es ein halbes Jahr schieben. Oder ein Jahr.«
Ich legte auf, schaltete den Wasserkocher ein und öffnete den Kühlschrank. Der Tiefkühlfisch fing langsam an zu tauen - ich hatte vergessen, dass der Kühlschrank kein Gefrierfach hatte. Die Wischfärbung an den Wohnzimmerwänden war zu einem sich langsam beschleunigenden Mahlstrom geworden, sodass ich mich ans Fenster stellte, ohne Getränk, ohne Musik. Draußen waren wieder Schafe auf der Wiese, genau genommen ein Schaf.
JASPER
In der Lobby meines Apartmenthauses drückte ich den Knopf mit dem Pfeil nach oben. Während ich auf den Fahrstuhl wartete, dachte ich, wie schade es war, dass mein Vater nicht mehr lebte. Sonst hätte ich ihn anrufen und ihm von Chris Neelys Entlassung erzählen können. Davon, dass nun
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